Daniel Fechner, Hörakustikmeister in Sydney: "Was heißt eigentlich DP OPT auf Englisch?"
Was treibt einen deutschen Hörakustikmeister, in Sydney ein eigenes Geschäft zu eröffnen? Im Interview berichtet Daniel Fechner, wie es dazu kam.
Herr Fechner, Sie sind 33, Hörakustikmeister und haben lange für die deutsche Phonak-Niederlassung in Fellbach gearbeitet. Zur Einordnung: Wie sind Sie in die Hörbranche gekommen?
Lustig, dass Sie das fragen. Vor ein paar Tagen fiel mir ein Ausdruck in die Hände, den ich mal vom Berufsinformationszentrum mitnahm. Wie so mancher hatte auch ich damals keine konkrete Idee, welchen Beruf ich ergreifen könnte. Und im BIZ erhielt ich dann den Tipp, Hörakustiker zu werden. Allerdings hatte ich von diesem Beruf zuvor nie gehört. Als ich nach Hause kam, legte mir meine Mutter wie aus dem Nichts einen Zeitungsartikel vor, in dem der Beruf beschrieben wurde. Sie fragte, ob ich mal von dem Beruf gehört hätte und dass sie mich in dem Artikel vollkommen wiedererkannt hätte. Also bewarb ich mich um ein Praktikum.
Und begannen anschließend eine Lehre …
Richtig. Zwei Praktika später begann ich in dem inhabergeführten Betrieb Jopp & Geber in Würzburg meine Ausbildung. Nach der Gesellenprüfung wechselte ich direkt zu Phonak.
Weshalb?
Technik fasziniert mich. Und als angehender Geselle muss man sich ja zudem stark mit dem Programm eines Herstellers auseinandersetzen. Das tat ich dann auch. Ich rief verschiedene Hersteller an und fragte nach Informationen. Und bei Phonak nahm sich jemand die Zeit, mir alles zu erklären, was ich wissen wollte. So kam ich zu der Überzeugung, dass dieser Hersteller eine Hörgeräte-Philosophie verfolgt, die mir sehr entgegenkommt. Und daraus entstand der Gedanke, unbedingt dort arbeiten zu wollen. Also rief ich zwei Wochen nach der Gesellenprüfung bei Phonak an und fragte aus Neugier, wie es mit einem Vorstellungsgespräch aussehe. Am nächsten Morgen um 9.00 Uhr saß ich dann da und stellte mich vor.
Welche Position konnten Sie bei Phonak bekleiden?
Zunächst war ich Innendienst-Audiologe. Damals ging es zunächst noch um die PFG- und die iPFG-Software, dann kam die Target. Trotz eines genialen Einarbeitungsprogramms war der Job ganz schön herausfordernd.
Sie dürften so aber auch schnell ziemlich viel Anpass-Know-how gesammelt haben …
Dass ich der Akustiker wurde, der ich heute bin – und ich zähle mich zu den sehr kompetenten Hörakustikern – habe ich den ersten vier Jahren bei Phonak zu verdanken. Das Grundverständnis für Akustik erhielt ich während meiner Ausbildung bei Jopp & Gerber, das Detailverständnis für Technik, Audiologie und Anpassung lernte ich bei Phonak. Für diese Chance bin ich extrem dankbar.
2009 verließen Sie Phonak. Warum?
Ich wollte das, was ich gelernt hatte, auch in der Praxis umsetzen und Menschen helfen. Also fing ich bei Nadja Kuhnle in Reutlingen an, Aug’ und Ohr heißt der Betrieb. Während des Ausgangsgesprächs bei Phonak meinte der damalige Geschäftsführer Wolfgang Bennedik, dass ich einen Fehler mache und nicht für die Praxis bestimmt wäre. Ich sei ein Industriemensch, sagte er zu mir. Er rechnete damit, dass ich nach sechs Monaten wieder auf der Matte stehen und nach einem Job fragen würde. Aber das hat mich damals überhaupt nicht interessiert.
Und? Standen Sie wieder auf der Matte bei Phonak?
Na klar. Nach drei Monaten war es soweit. Allerdings erhielt ich erst nach knapp zwei Jahren eine Stelle als Vertriebsaudiologe. Nach einer Weile übernahm ich dann die Gebietsleitung für Bayern. Das war wieder eine riesige Erfahrung, auch wenn ich dann mehr mit Vertrieb zu tun hatte als mit Audiologie. Nach vier Jahren war aber dann auch damit Schluss.
Warum das?
Ich kam über eine persönliche Beziehung mit einem Projekt in Berührung, das damals in Peru aufgebaut wurde. So wurde ich Gründungsmitglied von „Hören helfen in Peru e.V.“, der schwerhörige Kinder in den Anden unterstützt. In Cajamarca, einer Stadt im Norden von Peru, gibt es wegen nicht verfügbarer Medikamente überdurchschnittlich viele schwerhörige Kinder, die wegen Mittelohrentzündungen mit permanentem Hörverlust zu kämpfen haben. Meine damalige Freundin wollte sich für ein Jahr dem Projekt anschließen. Und da der Job als Gebietsleiter ziemlich kräftezehrend sein kann, entschied ich, mich für sechs Monate als Freiwilliger an das Projekt dranzuhängen.
Wie war es in Peru?
Absolut genial. Meine Aufgabe bestand darin, technische Unterstützung zu leisten. Hierfür haben wir etwa eine Acam 4 von der Berufsschule in Lübeck gekauft und nach Peru exportiert. Matthias Parr von Acousticon half mir bei der Installation via TeamViewer. Zudem hatten die Firma Egger und Jürgen Böhler ein komplettes Labor gestiftet, so dass wir die Kinder auch mit Ohrpassstücken ausstatten konnten. Das Labor konnte ich dann aber nicht mehr mit einrichten, die Kiste hing 13 Monate im Zoll fest. Von Deutschland aus zeigte ich den Freiwilligen aber immerhin via Skype und mit Handyfotos, wie man die Maschinen zusammenbaut und alles einrichtet.
Was haben Sie in Deutschland dann gemacht?
Erst mal nicht viel. Ich durchlief eine persönlich nicht einfache Zeit und wollte auch nicht gleich wieder ein neues Arbeitsverhältnis eingehen. Ich wollte eine Pause und kaufte einen alten VW Bus mit Getriebeschaden, reparierte den binnen vier Tagen mit einem Freund und baute den aus. Mit dem Bus fuhr ich durch ganz Nord- europa, Dänemark, Schweden, Norwegen – bis zum Nordkap. Wie es danach weitergehen sollte, wusste ich nicht. Solange mein Geld reichte, wollte ich einfach touren. Sieben Monate war ich unterwegs. Und irgendwann in dieser Zeit klingelte das Telefon.
Wolfgang Bennedik?
Ja. Ich fischte gerade in Norwegen, und er schlug mir vor, Filialleiter eines Sonova-eigenen Geschäftes zu werden. Das war damals ein sehr interessantes Thema, in Deutschland gab es so etwas damals ja nicht. Er beschrieb mir die Stelle, die Gehaltsaussichten – und alles klang wunderbar, bis er mir sagte, dass es nur eine Downseite habe.
Nämlich?
Das Geschäft war in Australien. Er gab mir vier Wochen Zeit, darüber nachzudenken. Aber ich antwortete unmittelbar. Ich musste keinen Deut darüber nachdenken. Zwar wusste ich nichts über Sydney und Australien, aber ich wusste, dass Bennedik mich seit neun Jahren kennt und wir immer ein gutes Verhältnis hatten. Er meinte, Australien würde zu mir passen.
Wie fanden Sie in Sydney Anschluss?
Eigentlich war der Plan, mich in eine Stadt vier Stunden südlich von Sydney zu schicken. Daraus wurde aber nichts. Meine Ausbildung wurde in Australien nicht anerkannt. Ich brauchte also zunächst die Qualified Practitioner Number, die in Australien mit einer Kompetenzprüfung verbunden ist. Darum durfte ich erstmal nur mit Privatkunden arbeiten. Dafür hatte man mich in eine Filiale in Sydney geschickt.
Wie war die Prüfung zum Qualified Practitioner? Einfach?
Nicht ganz. Die Hörgeräte-Technik ist natürlich überall dieselbe, aber die Prüfung zielt auch darauf ab, das australische System zu verstehen, inklusive Abrechnungen mit der gesetzlichen Versicherung und deren Vorgaben. Und das System verstand ich natürlich erst mal überhaupt nicht.
Und die Fachsprache?
Die war auch so ein Punkt. Natürlich besuchte ich anfangs eine Sprachschule. Doch dauerte es sechs Monate, bis ich mit der Fachsprache umgehen konnte. Fragen wie „was heißt eigentlich dB opt auf Englisch?“ konnten schon zu großen Herausforderungen werden. So waren die ersten sechs Monate unkomfortabel, danach ging es dann.
Was charakterisiert den australischen Markt?
Ein großer Teil des Marktes ist in der Hand von Herstellern oder großen Retailern: Sonova mit Connect Hearing, die Demant Gruppe, Starkey, Amplifon oder Australian Hearing, die ursprünglich eine staatseigene Vertriebskette war. Die Geschäfte sind auch traditionell sehr klein. Ich arbeitete in einer der größten Filialen Australiens – wir hatten dort zwei Anpassräume. Das größte Geschäft, das ich in Australien kenne, hat drei.
Gibt es auch unabhängige Akustiker bzw. Audiologen?
Inhabergeführte Geschäfte machen etwa 20% des Marktes aus, einige davon sind auch kleine Ketten mit ein paar Geschäften. Abgesehen davon wird viel mit Visiting Sites gearbeitet, das heißt, ein Betrieb mit einem Hauptgeschäft mietet sich in umliegenden Dörfern etwa in einer Arztpraxis ein und ist da einmal in zwei Wochen vor Ort.
Wie sieht die Ausbildung in Australien aus?
Es gibt zwei Gruppen von Hörakustikern. Einmal die, die den Bachelor of Science bzw. den Master of Audiology machen. Die studieren Jahre an einer Universität und besitzen keinerlei Praxiserfahrung. Und dann gibt es die andere Gruppe, die eine Art Berufsschule absolviert hat, ähnlich wie in Lübeck. Die haben den Vorteil einer praktisch-theoretischen Ausbildung und heißen Audiometristen. Vom Abschluss her sind die aber im Nachteil, weil sie nicht alles oder manches nur eingeschränkt machen dürfen, wie etwa eine CI-Anpassung.
Welche Unterschiede zu Deutschland sehen Sie außerdem?
Diese 20% und die 80% haben untereinander eine freundschaftliche Beziehung, das hätte ich mir vorher nicht vorstellen können. Die sitzen alle auf demselben Kongress, nehmen an denselben Fortbildungen teil und es gibt keine politischen Unstimmigkeiten. Dass Hersteller Retail betreiben, ist hier kein Thema. Ebenfalls anders ist das Arzt-Akustiker-Verhältnis. Wir brauchen die Ärzte hier eigentlich kaum. Der Hausarzt muss hier eingangs bestätigen, ob sich jemand in Rente befindet oder nicht. Ein Privatkunde braucht außerdem nicht mal eine Verordnung. HNO-Ärzte werden, solange es keine Hinweise auf entsprechende Erkrankungen gibt, nicht eingebunden.
Ist demnach auch der Verkaufsprozess einfacher?
Ich denke schon. Hier wird allgemein nicht erwartet, dass eine Leistung gratis erbracht wird. Geht man zum Arzt, erhält man eine Rechnung. Nimmt man eine Leistung in Anspruch, bezahlt man die. Bis vor kurzem galt das hier sogar für Hörtests. Auch auf den Gedanken, Geräte erst mal auszuprobieren, kommen die Kunden kaum. Das ist hier in der Kultur nicht angelegt.
Also ist der Servicegedanke in Australien auch ein anderer?
Sicherlich. Im Vergleich zu Deutschland würde ich heute sogar von einer Inflation der Serviceleistung sprechen. Ich sehe in Deutschland Kunden, die über drei, vier Monate ins Geschäft kommen, Geräte ausprobieren, zurückgeben und am Ende 15 Stunden Arbeit gekostet haben, ohne dass die einen Cent dafür bezahlen. Das gibt es in Australien nicht.
Welche Unterschiede zwischen Kunden in Deutschland und Australien sehen Sie noch?
In Australien kommen die Kunden früher. Man ist hier aber auch viel gesundheitsbewusster und geht ein Stück weit uniformiert an solche Themen heran. Ein großer Unterschied besteht außerdem darin, dass man in Deutschland das Beste für gerade gut genug hält. In Australien sind die Leute mit einem halbwegs gutgemachten Handwerksjob schon viel zufriedener. Die vergleichen das eher mit dem Kauf eines Rollstuhls: es hilft, um voranzukommen, aber das heißt nicht, dass man wieder laufen kann. Die Erwartungshaltung ist in Australien daher sehr viel realistischer.
Mit all den Erfahrungen, die Sie in der Industrie und in den Fachgeschäften über drei Kontinente hinweg sammeln konnten: Was macht Kundenzufriedenheit aus?
Das ist ganz schwierig zu definieren. Kundenzufriedenheit ist eigentlich, wenn man die Kundenwünsche und Erwartungen des Kunden gestillt und erfüllt hat. Aber die Erwartungen sind unterschiedlich. Und das ist ein entscheidender Faktor. Es muss aus Sicht des Kunden stimmig sein, nicht aus meiner Sicht. Ob ich damit als Akustiker glücklich bin, ist so nicht immer gesagt. Und unter diesen Rahmenbedingungen muss sichergestellt werden, dass auch eine hervorragende objektive Anpassqualität geleistet wird. Die Kunst ist also, wie immer, dem Kunden auch das zu geben, was er braucht, und nicht nur das, was er will.
Gibt es in Australien so etwas wie die vergleichende Anpassung?
In diesem Punkt sind die Systeme sehr unterschiedlich. In Australien existiert die vergleichende Anpassung nicht. Zudem gibt es hier kaum Ausprobierphasen, die kommen erst langsam auf. Der Markt in Australien basiert aus Leistung gegen Bezahlung. Üblicher Weise geht ein Kunde zum Akustiker, der ihm dann bestätigt, dass Hörsysteme angebracht wären. In manchen Unternehmen erfolgt die Anpassung mit Schirmchen direkt nach der Beratung und der Kunde, der per Kreditkarte zahlt, nimmt die Geräte, sofern sie auf Lager sind, gleich mit. Das ist ein Prozess, den ich absolut nicht befürworte. Wer sich Mühe gibt, der nimmt noch Abdrücke und bestellt die Ohrpassstücke dazu, was dann ein, zwei Wochen länger dauert. Aber auch in diesen Fällen werden die Geräte direkt bei der Ausgabe bezahlt. Der Kunde hat dann 30 Tage Rückgabegarantie. Ist er in den 30 Tagen unzufrieden, kann er die Geräte zurückgeben und erhält den vollen Preis zurück.
Und das hat Sie motiviert, ihr eigenes Geschäft Ear Studio zu eröffnen?
Ich denke schon. Ich weiß, was ich mit guter Messtechnik und guten Ohrpassstücken erreichen kann. Seit ich hier lebe, ist einer meiner größten beruflichen Wünsche, wieder mit einer ACAM zu arbeiten. Die bekam ich vorher nicht. Für australische Verhältnisse ist das schließlich ein sehr teures Messsystem, das „nur“ dazu dient, die Anpassqualität zu verbessern. Mehr Geld spült es aber nicht unbedingt in die Kasse, darum ist es hier für die meisten Betriebe uninteressant. Aber ich habe das jahrelang mit mir rumgeschleppt – zu wissen, ich könnte bessere Arbeit abliefern, hätte ich nur die richtigen Instrumente zur Hand. Daher bin ich auch überzeugt, dass der Qualitätsstandard in Australien verbessert werden kann, wie etwa mit einem guten Hörtraining. Und da ich bisher diese Möglichkeit nicht hatte, muss ich das nun auf meine eigene Kappe nehmen.
Herr Fechner, wir danken Ihnen für das Gespräch!