Roger Baumann und Steffen Kohl im Gespräch
Herr Dr. Baumann, Herr Kohl, es ist Freitagnachmittag, der EUHA-Kongress ist so gut wie vorüber. Welche Bilanz ziehen Sie unter den 61. Internationalen Hörgeräteakustiker-Kongress?
Baumann: Für uns war der Kongress super. Überhaupt, denke ich, war die Messe sehr gut besucht. Schon am Mittwoch war unser Stand stark frequentiert, der Donnerstag war dann, wie in den vergangenen Jahren, sehr voll. Heute war etwas weniger los, im Verhältnis zum letzten Jahr aber immer noch eine deutliche Steigerung. Von daher sind wir sehr zufrieden. Wir haben sehr großes Interesse für „Belong“ wecken können, insbesondere natürlich für die wiederaufladbaren Hörsysteme.
„Belong“ sowie das „Audéo B-R“ wurden Mitte September gelauncht. Noch einmal zusammengefasst – welche Neuheiten gehen mit „Belong“ einher?
Baumann: „Belong“ ist unsere neue Plattform, die wir zuerst in der „Audéo-B“-Reihe in fünf Bauformen und vier Technologiestufen anbieten. Darunter bewegt das Akku-Gerät die Kunden sicherlich am meisten, aber die Plattform bietet auch darüber hinaus viele Neuheiten und Verbesserungen. Auf der Firmware-Seite haben wir eine Weiterentwicklung unseres Automatik-Betriebsystems AutoSense OS. Außerdem bieten wir neu SoundRecover2 auf der gesamten Plattform an. SoundRecover2 arbeitet adaptiv und sorgt für eine nachweisbare Verbesserung des Sprachverstehens bei Hochtonhörverlusten. Wir haben das System dahingehend weiterentwickelt, dass nur Frikative komprimiert werden, bei den Vokalen nimmt das System dagegen keine Kompression vor. So bleiben die Obertöne erhalten und die Vokale „sauber“, die Tonalität wird besser und das Sprachempfinden natürlicher. SoundRecover2 hatten wir ja bereits mit „Naída V“ und „Sky V“ in diesem Frühjahr eingeführt, auf der „Belong“-Plattform kommen wir damit nun in die ganze Breite. Das ist für uns ein wichtiger Entwicklungsschritt. Außerdem haben wir die adaptive Expansion angepasst, wir haben ein tieferes Eigenrauschen des A/D-Wandlers, was uns erlaubt, Sprache bei sehr niedrigem Pegel, also auch Flüstersprache, verstärken zu können. Das alles verbessert die Natürlichkeit des Hörempfindens.
Gibt es, neben der Firmware-Seite, auch Neuerungen bei der Hardware?
Baumann: Sämtliche Geräte, nicht nur das wiederaufladbare, sind IP 68 zertifiziert. Damit haben wir die höchste Wasserresistenz und Staubdichte. Wir nutzen glasfaserverstärkten Kunststoff und haben den Taster etwas größer gemacht. Zudem sind die Mikrofonöffnungen nun günstiger platziert, damit Reibegeräusche, etwa von Haaren, weiter reduziert werden können. Auch die Verschmutzungsgefahr konnten wir dadurch weiter reduzieren. Außerdem bieten wir als Farbe jetzt auch Alpine White an.
Sie sagten es eben schon: Am meisten Aufmerksamkeit erzeugt die Nutzung des Lithium-Ionen-Akkus. Warum war es notwendig, hierfür eine neue Plattform zu entwickeln?
Baumann: Der Akku ist eine gemeinsame Entwicklung von Sonova bzw. Phonak und einem Akku-Hersteller.
Verraten Sie, welcher Akku-Hersteller das ist?
Baumann: Das kann ich nicht sagen. Nur so viel: Wir haben zwei Lieferanten und es ist eine gemeinsame Entwicklung. Die Lithium-Ionen-Zellen sind deutlich stabiler als die Nickel-Metallhydrid-Akkus. Dennoch kennen wir es von unseren Smartphones, dass der Akku nach zwei Jahren deutlich an Kapazität verliert. Daher haben wir ein System entwickelt, das ein Hörgeräteleben lang hält. Und das liegt nicht allein am Akku. Es kommt auch darauf an, wie man den Akku belastet, wie man ihn lädt und entlädt. Also haben wir eine Ladetechnik entwickelt, nach der wir den Akku immer nur bis zu einem gewissen Grad laden und entladen. Der Ladezyklus verläuft sehr kontrolliert – und dafür benötigten wir eine neue Plattform. Außerdem ist der Akku gekapselt, also vollständig geschützt. Alles ist gelötet, nichts gesteckt, so dass Kriechströme vermieden werden, die den Akku belasten würden. So können wir gewährleisten, dass der Akku auch nach mehreren Jahren noch zuverlässig über den gesamten Tag Strom liefert.
Nimmt die Verwendung von Lithium-Ionen-Akkus auch Einfluss auf die Bauform des Hörsystems?
Baumann: Die Akkuzelle sieht der Batterie sehr ähnlich. Geladen wird sie über galvanische Kontakte, also nicht induktiv. Dazu haben wir uns entschieden, weil es für die induktive Ladung eine zusätzliche Spule im Gerät bräuchte, was Platz kostet. Die galvanischen Kontakte erlauben außerdem einen sehr definierten Prozess der Aufladung.
Kohl: Was außerdem wichtig ist: Man merkt beim Hereinstecken der Systeme in die Station, dass der Ladeprozess beginnt. Dazu blinkt die im Taster der Hörgeräte eingebaute LED-Leuchte während des Ladevorgangs – sind die Systeme vollständig aufgeladen, leuchtet es durchgehend grün.
Welches Hörsystem man auf welcher Seite in die Ladestation steckt, ist egal, oder?
Kohl: Ja, die Geräte sollen für den Endkunden eine tolle Handhabung bieten. Und dazu gehört eben auch diese Ladefunktion. Alles ist sehr praktisch gelöst. Neben der Ladestation bieten wir auch ein Powerpack an. Mit diesem kann man seine Hörsysteme binaural mindestens sieben Mal wieder aufladen, ohne an die Steckdose zu müssen.
Baumann: Zudem macht es dem Akku nichts aus, ob er mehr oder weniger entladen ist, wenn man die Geräte in die Ladestation steckt. Grundsätzlich empfehlen wir, die Hörsysteme jeden Abend wieder aufzuladen.
Kohl: Wir können nachweisen, dass die Geräte selbst nach 1.500 Ladezyklen, also nach etwa vier Jahren, noch während 24 Stunden laufen. Am Anfang werden die Geräte sogar eine noch längere Laufzeit haben.
Und wenn der Akku dann noch mal am Ende ist – was dann?
Baumann: Sollte das passieren, schickt man das Gerät ein und der Akku wird getauscht. Das lässt sich allerdings aufgrund des vollständig gekapselten Systems nur werksseitig machen.
Der Kauf von Batterien führt viele Kunden regelmäßig in die Fachgeschäfte. Mit den Akkus würde das wegfallen. Haben Sie dafür auch Kritik erfahren?
Kohl: Akustiker fragen sich durchaus, wie sie das kompensieren bzw. kalkulieren können. Allerdings reagieren die meisten Kunden sehr positiv. Unsere Kunden sehen hier die Chance, den Akku gegenüber den Endkunden in der Argumentation als Vorteil für die Handhabung zu nutzen. Zumal sich viele Nutzer ja ohnehin wiederaufladbare Hörsysteme wünschen, wie auch die Marke Trak Studie 2015 ergeben hat. Die Menschen kennen Akkus aus vielen anderen Geräten des Alltags, die sind für sie State of the Art.
Baumann: Und dafür sind viele Kunden auch bereit, etwas mehr zu bezahlen. Das wissen wir aus Feldstudien. Daher dürfte der finanzielle Teil der Batterien nicht ins Gewicht fallen. Aber natürlich machen sich unsere Kunden Gedanken, wie sie sicherstellen können, dass die Endkunden über die Jahre immer wieder ins Fachgeschäft kommen. Das ist aus meiner Sicht aber ohnehin angezeigt, denn immer mehr Hörgeräteträger kaufen sich ihre Batterien im Internet. Dies stellt die Akustiker also vor die gleiche Frage.
Noch eine Frage zur Ladestation und dem Powerpack: Muss der Endkunde diese zusätzlich erwerben oder sind die von vorn herein dabei?
Baumann: Der Nutzer des Audéo B-R hat die Möglichkeit, sich zwischen dem Phonak Charger Case bzw. dem Phonak Mini Charger als Ladeoption zu entscheiden, die nicht im eigentlichen Lieferumfang enthalten, aber natürlich als Teil der Gesamtlösung zu betrachten sind. Wegen unterschiedlicher interner Abläufe werden in der Regel zwei Bestellungen an unsere Kunden, also die Akustiker, ausgelöst. Der Lieferumfang an den Endkunden umfasst dann wieder alle Artikel, die er wünscht. Das Phonak Power Pack dient als einfache Anbringung an das Charger Case und ist eine weitere Ladeoption, die man zusätzlich erwerben kann.
Außerdem einher mit der Lithium-Ionen-Technik geht, dass man etwas mehr Spannung in den Geräten hat. Die beträgt nun nicht mehr 1,2 Volt, sondern 3,7. Eröffnen sich dadurch künftig weitere Möglichkeiten?
Baumann: Generell gilt: Je höher die Betriebsspannung ist, umso mehr Rechenoperationen, sprich Performance, können vom Prozessor abgerufen werden. Somit eröffnen sich in Zukunft natürlich neue Möglichkeiten. Im Augenblick ist es so, dass unser Energiemanagement die Spannung der wiederaufladbaren „Audéo B-R“ von 3,7 Volt auf die geringere Spannung umwandelt. Das liegt daran, dass der Chip durchgängig in allen Lösungen der Belong-Plattform verbaut ist.
Wechseln wir das Thema: Würden Sie sagen, dass sich die Anforderungen an Sie als Hersteller über die letzten Jahre verändert haben? Was erwarten Ihre Kunden – abgesehen von der Technik – von Ihnen?
Kohl: Wir sehen die Entwicklung, dass das Marketing immer wichtiger wird. Auch das Bewusstsein um das Marketing ist gestiegen. Früher hatten wir klassisch Werbeflyer und Anzeigen. Diese werden zwar weiterhin gut genutzt und sie funktionieren auch weiterhin gut. Was aber dazugekommen ist, ist, dass uns Kunden zum Beispiel nach Social Media-Inhalten fragen, die sie für sich nutzen können. Außerdem machen wir selbst viele Erfahrungen mit Facebook-Posts und Google-Adwords, die wir gerne an unsere Kunden weitergeben. Darin sehen wir sehr viel Potenzial. Was für lokale Werbung in vielen Bereichen aber noch besser funktioniert ist Facebook. Darüber hinaus erwarten die Kunden von uns, dass wir schnell sind, dass wir gute Botschaften haben und dass wir guten Service bieten. Zudem wird die Individualität unserer Marketingunterstützung immer entscheidender. Akustiker möchten sich immer mehr als lokale Marke präsentieren. Unser eigenes Ziel im Marketing ist es zu sagen, dass wir eine starke Marke haben, was das Produkt betrifft. Aber die lokale Marke ist der Akustiker, der das Produkt zur individuellen Lösung für den Endkunden macht. Und für ihn wollen wir Service-Partner sein, um dabei zu helfen, sich als starke Marke präsentieren zu können. So arbeiten fünf Personen im Marketing-Team in unterschiedlichen Aufgabengebieten genau daran und in diesem Team ist ein Mitarbeiter ausschließlich mit der Umsetzung von Kundenanfragen betraut. Das ist uns wichtig.
Noch ein Themenwechsel: Wie hat Phonak Deutschland bisher die Übernahme von AudioNova verdaut?
Baumann: Sehr gut. Anfang 2015, als die Retail-Strategie der Sonova bekanntgegeben wurde, hat das ja eine sehr große Diskussion im Markt ausgelöst und zu entsprechenden Reaktionen geführt. Mit der Bekanntmachung der Übernahme von AudioNova gab es sicherlich weiteren Gesprächsbedarf, um die Hintergründe dieses Entscheids und die Ziele von Sonova.. Seit Anfang 2015 haben wir zeigen können, dass wir weiterhin ein verlässlicher Partner sind. Darüber hinaus glaube ich, dass unsere Kunden gesehen haben, wie wir mit diesem Thema umgehen. Wir haben nach der Bekanntgabe sehr offensiv, offen und transparent kommuniziert. Wir standen und stehen zusammen als Team zu diesem Schritt und ich denke, dass das dazu beigetragen hat, dass wir ein Stück weit das Vertrauen, das Anfang 2015 sicher gelitten hat, wieder aufbauen konnten.
Herr Dr. Baumann, Herr Kohl, wir bedanken uns für das Gespräch.