Andreas Roberg: „Hilfe zur nachhaltigen Selbsthilfe”
Die beiden Unternehmen bieten Hörakustikern wie Endkunden auch einen zusätzlichen Kommunikationskanal zueinander. Wie es zu der App kam, worauf es bei ihr ankommt und was es mit dem Hör-Alter auf sich hat, das erzählen der Oton & Friends-Geschäftsführer Andreas Roberg und der Meditech-Geschäftsführer Ralph Warnke im Gespräch.
Herr Roberg, Herr Warnke, Sie haben auf dem vergangenen Kongress die App „Hörfitness“ vorgestellt. Was war die Initialzündung für Ihre Zusammenarbeit?
Andreas Roberg: Wie bieten seit fünf Jahren die „axone“-Hörtherapie an, die hörentwöhnte Kunden auf die Anpassung vorbereitet und einen sanfteren Einstieg in die Hörgeräteversorgung ermöglicht. Bisher haben wir hier mit einem Klangwürfel gearbeitet, den wir dem Kunden mit nach Hause gaben. Allerdings war uns als innovatives Unternehmen auch klar, dass es hierfür eine App-basierte Lösung geben muss. Außerdem haben wir für uns erkannt, dass wir uns im Vorfeld zwar sehr gut um unsere Kunden kümmern, wir aber auch nach erfolgter Versorgung gerne unseren Kunden ein Angebot machen wollten – Stichwort „Hörerhaltung“. Darum starteten wir damit, „hörFit“, das Hörtraining der Meditech, anzubieten. Somit gab es bei uns eine einleitende Phase mit der „axone“-Hörtherapie, darauf folgte die qualitativ hochwertige Anpassung und schließlich das „hörFit“-Hörtraining, um dem Kunden auch etwas Nachhaltiges mitgeben zu können. In diesem Zusammenhang sprach ich mit Ralph Warnke von Meditech über Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Er präsentierte mir zu diesem Zeitpunkt die bei ihm entstehende frühe Version der „hörFit“-Trainingsapp – und die war der Grundstein zur Entwicklung einer gemeinschaftlichen „Hörfitness“-App, in die dann das Modul unserer „axone“-Hörtherapie integriert worden ist.
Ralph Warnke: Wir sammeln bereits seit 15 Jahren in Deutschland, Österreich und der Schweiz umfassend Erfahrungen mit dem Thema Hörtraining. So stellten wir zum Beispiel fest, dass, wenn ein motivierter Akustiker und ein motivierter Kunden aufeinandertreffen, alles sehr gut funktioniert. Nur geriet das Thema im Tagesgeschehen auch bisweilen ins Hintertreffen. Also fragten wir uns, was es braucht, um dieses Thema für Kunden wie Hörakustiker noch besser zugänglich zu machen, um mehr Erfolge und Nutzen aus dem Hörtraining ziehen zu können. Wir wollten also den Aufwand senken, es kostengünstiger machen und so intuitiv gestalten, dass man als Trainierender auch dann vom Hörtraining profitieren kann, wenn man technisch nicht so affin ist. Wichtig war uns auch, den Akustiker nicht zu einem Trainer umzufunktionieren, sondern ihm ein weiteres elegantes Tool an die Hand zu geben, mit dem er seinen Kunden effektiv helfen kann.
Und das mündete dann in der „Hörfitnesss“App?
Ralph Warnke: Richtig. Dabei geht es um die Bausteine, die das Gehirn braucht, um Sprache verdauen zu können. Hat man zum Beispiel eine schlechte Tonhöhen-Verarbeitung, so rutschen einem bestimmte Laute durch. Hat man ein schlechtes Richtungshören, kann man sich in lauter Umgebung nicht auf den Gesprächspartner konzentrieren. Hat man eine schlechte Muster-Erkennung, kann man wiederum Betonungen und die Sprachmelodie nicht sicher erkennen. Insgesamt gibt es da acht Bausteine, die wir über die Jahre in verschiedenen Forschungen identifiziert und in einem kompakten Ursachentraining zusammengeführt haben. Wir forschen und arbeiten seit Jahrzehnten in diesem Bereich: So haben wir damit zunächst bei Kindern mit Lernschwäche herausragende Erfolge erzielt. Vor wenigen Jahren konnten wir sogar mit bildgebenden Verfahren bei funktionalen Analphabeten nachweisen, dass durch unser Training plastische neuronale Veränderungen in den für Sprache wichtigen Hirnarealen entstanden sind. Wir haben durch das Training also nicht nur die sprachbezogene Leistung verbessert, wir können damit auch maßgebliche Strukturen im Hirn verändern.
Was erwartet den Kunden, betritt er einen Fachbetrieb, der mit der „Hörfitness“-App arbeitet?
Andreas Roberg: Der Kunde müsste noch nicht mal die Schwelle zum Geschäft überschreiten, was uns hier auch wichtig war. Jeder kann die App im App-Store oder bei Google Play downloaden und seine Hörfitness im Voraus testen. Damit wollen wir das klassische „Du bist schwerhörig“-Thema umgehen. Wir stellen vielmehr die Frage: „Wie fit ist dein Gehör?“ „Wie ist dein Hör-Alter?“ Mit der App kann man sich dem Thema spielerisch nähern, und gleichzeitig sensibilisieren wir den Kunden in Sachen Hörverstehen. Ist man zum Beispiel Mitte 30 und das Hör-Alter schon über 50, dann sollte man einen „Hörfitness“-Partner aufsuchen oder gleich zu trainieren anfangen.
Ralph Warnke: Die App gibt dem Anwender durch eine schnelle Analysefunktion Rückmeldung in Form einer Grün-, Gelb, oder Rot-Antwort. Je weiter man von den Werten eines 20-Jährigen entfernt ist, desto dringlicher empfehlen wir das Training. Zumal es ja ein Anreiz ist, sein Gehör noch mal auf ein jüngeres Alter zu trainieren. Die Erfahrung, dass Hörverstehen mit zunehmendem Alter anstrengender wird, machen sehr viele Menschen. Ein weiterer Anreiz unseres App-basierten Trainings ist der Vergleich mit anderen Nutzern. Und der zweite Schritt ist dann der, dass wir in der App den nächsten „Hörfitness“-Partner anzeigen, damit der Nutzer diesen aufsucht und sich qualifiziert beraten und begleiten lässt – an den Ohren und zwischen den Ohren.
Heißt das, dass in der App alle Funktionen und Übungen zur freien Verfügung stehen?
Andreas Roberg: Es gibt ein paar Basis-Übungen, die man machen kann, ohne bezahlen zu müssen. Allerdings sind die begrenzt. Die Vollversion bekommt man bei einem unserer „Hörfitness“-Partner. Hörgeräte ersetzen kann das Training übrigens nicht, aber Dinge wie die zeitliche Verarbeitung kann man schon trainieren. Wobei natürlich schon ein Akustiker das Training mit kompetenter Beratung begleiten sollte. Damit kann er auch gleich ein weiteres Argument liefern, warum es Hörgeräte nicht einfach im Supermarkt gibt und wie er sich deutlich vom Mitbewerber abhebt.
Mit der „Hörfitness“-App zielen Sie nicht nur auf klassische Kunden ab. Sie wollen auch jüngere Menschen ansprechen. Wie wollen Sie das erreichen?
Ralph Warnke: Indem es um die Hörfitness geht. Auch 35- oder 40-Jährige klagen über Probleme beim Hörverstehen. Gehen sie ohne messbaren Hörverlust zum HNO-Arzt oder Akustiker, wird dieser sie im Regelfall mit ihrem Thema wieder wegschicken. Über unsere Partner bieten wir mit „Hörfitness“ Hilfe zur Selbsthilfe.
Andreas Roberg: Dazu kommt der junge, sportliche Auftritt. Jüngere Generationen sind heute ja oft sehr körper- und gesundheitsbewusst. Hier kann der Akustiker seine Klientel erweitern, ohne, dass schon eine Schwerhörigkeit vorliegen muss. Zumal ein Hörgerät ja nur bei einem messbaren Hörverlust das Defizit auffängt, nicht aber unser Thema der Hörverarbeitung angeht. Und die trainieren wir mit der „Hörfitness“-App.
Neben dem Effekt, dass Hörakustiker sich durch die App einmal mehr als Experte für das Thema Hören positionieren können: Welche Vorteile erwarten ihn hier und was kostet eine Partnerschaft?
Andreas Roberg: Die App ist auch als Messenger nutzbar, über die Kunde und Akustiker kommunizieren können. Auch weiteres Marketing ließe sich über die App kommunizieren. In Zukunft wird es so sein, dass qualifizierte Akustiker als „Hörfitness“-Partner diese Möglichkeiten anbieten und für ihre Kunden nutzen werden. „Hörfitness“-Partner kann man werden, indem man sich an uns wendet und einen Partnervertrag unterzeichnet. Dafür wird es auch eine Exklusivität geben, inklusive kleinem Gebietsschutz. Schließlich wünschen wir uns, dass das Angebot flächendeckend genutzt werden kann. Erster Ansprechpartner ist für uns natürlich der Hörakustiker. Ganz wichtig dabei: Wir sehen uns als Dienstleister für die gesamte Hörakustik-Branche. Jeder Akustiker kann unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Aber auch für Ärzte ist das Thema interessant.
Ralph Warnke: Was außerdem wichtig ist: Der Nutzer muss nicht mühsam vom Akustiker angeleitet werden, das geschieht durch die App. Diese ist so maßgeschneidert, dass jedermann sie wirklich intuitiv bedienen kann. Darüber hinaus gibt es kurze aussagekräftige Videos, in denen erklärt wird, wie was funktioniert und was geschieht. Die Kosten für die Hörfitness Partnerschaft werden sich im niedrigen dreistelligen Bereich pro Jahr bewegen.
Schon im Sommer 2018 haben Sie in Hamburg ein „Hörfitness-Studio“ eröffnet. Was erwartet einen dort?
Andreas Roberg: Ziel des „Hörfitness“-Studios ist es zusätzliche und neue Erfahrungen zu sammeln. Wir wollen damit gezielt Kunden auf ein verändertes Dienstleistungsangebot aufmerksam machen und uns noch frischer im Wettbewerb präsentieren. Dieses Geschäftsmodell bieten wir ebenfalls allen Akustikern an, die auf der Suche nach Alternativen zu ihren bestehenden Fachgeschäften sind.
Ralph Warnke: Dort steht die Hörgeräteversorgung nicht im Fokus sondern wir kümmern uns vordergründig um das Thema der Fitness der Hörverarbeitung. Während unsere Ohren langsam schlechter werden, ist unser Gehirn bis ins hohe Alter weiter lernfähig. Wir bieten einfache und nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe, die dem Trainierenden – wenn er konsequent dran bleibt – eine stetige Verbesserung bringen kann. Das Ziel ist dabei, nicht nur besser zu hören, sondern auch Unterstützung zum besseren Hörverstehen zu bieten.
Herr Roberg, Herr Warnke, wir danken Ihnen für das Gespräch.