audiosus: „Einfach natürlich hören“
Ein Konzept, das sich immer mehr bei kleinen und mittelständischen Hörakustikfachbetrieben etabliert hat, ist audiosus. Was sich dahinter verbirgt, darüber gab Christoph Stinn, einer der beiden Geschäftsführer der audiosus GmbH, in Sugenheim Auskunft.
So technisch brillant und intelligent moderne Hörsysteme heute schon sind, eine audiologisch gute Rundumversorgung ist ohne das kompetente Zutun eines Akustikers kaum möglich. Dafür ist die gesamte „Hör“-Thematik einfach zu komplex. Man erkennt das allein schon an der Königsdisziplin, der Anpassung. Hochtonsteilabfall, Mitteltonsenken, Tieftonabfall, Innen- oder Mittelohrstörungen – für jede Hörstörung muss der Akustiker letztlich die richtige Einstellung finden.
Um dies gewährleisten zu können, muss sich der Hörakustiker eines großen Werkzeugkoffers bedienen, in dem sich Instrumente wie Skalierung, Perzentilanalyse, In-Situ-Messungen oder etwa die vielen NAL und DSL-basierten Softwareprogramme der Hersteller befinden. Sie sollen helfen, an das anvisierte Ziel zu gelangen. Meist reichen sich am Ende einer Einstellung objektive und subjektive Anpassverfahren die Hand, gibt es doch kaum einen Akustiker, der nicht irgendwie subjektiv nachjustiert. Das führt dazu, dass sich eine Anpassung selten in einem Schritt vornehmen lässt.
Nun kann man argumentieren, dass hierfür Universalrezepte wie etwa NAL und DSL als Arbeitserleichterung entwickelt wurden. Aufgrund der Erfahrungswerte, die in diesen Formeln stecken, sind sie in der Lage, gewisse Wahrscheinlichkeiten (und damit Einstellungen) so wiederzugeben, dass mit diesen Formeln ein Großteil der Kunden abgedeckt werden kann. Doch wie punktgenau und abgestimmt erfolgen diese Einstellungen? Und stimmen diese Annahmen ebenso mit dem Hörempfinden des Kunden überein? Wie hochwertig eine Versorgung ist, lässt sich genau an diesen beiden Fragen bemessen. Zudem bieten sie einen Erklärungsansatz, weshalb für Hörakustiker moderne Anpasskonzepte immer wichtiger werden. Denn kein Akustiker wünscht sich durchschnittliche Anpasszeiten von acht Wochen bis zum Abschluss. Und nicht zuletzt darf bei dem ganzen Procedere eines nicht vergessen werden: der Kunde.
Hier den richtigen Weg für sich zu finden, ist für jeden Hörakustiker also die Gretchenfrage, existieren doch mittlerweile zahlreiche Anpasskonzepte mit unterschiedlichen Philosophien am Markt. Ein Konzept, über das Audio Infos bisher noch nicht ausführlich berichtet hat, ist das der audiosus GmbH.
audiosus – ein Gesamtkonzept
Zugegeben, unsere Redaktion hätte früher darüber berichten sollen, ist doch bei audiosus eines besonders auffällig: Gerade kleine und junge Betriebe arbeiten in letzter Zeit gern mit dem in Sugenheim ansässigen Unternehmen zusammen, das eine ganz eigene patentierte Anpassphilosophie verfolgt. Ob nun Audio Hansa, Hören2, Hörstil, Lehmann Hörakustik oder Hörkunst. Nahezu jedes Geschäft, das audio infos in jüngster Vergangenheit aufsuchte, ist heute Partner von audiosus. Wie lässt sich dieser Erfolg erklären? Zufall? Zeit für einen Besuch in Sugenheim.
„Es ist gewiss kein Zufall, dass Sie audiosus in vielen kleinen und mittelständischen Hörakustikfachgeschäften finden werden. Denn genau für diese inhabergeführten Betriebe haben wir das Konzept entwickelt“, bestätigt Geschäftsführer Christoph Stinn auch sogleich den vermeintlichen Trend, den wir ausgemacht haben wollen. Über 500 aktive Anwender und mehr als 150 feste Partnerbetriebe habe man von dem Konzept überzeugen können.
Nach einer kurzen Führung durch die offenen Räumlichkeiten des audiosus-Headquarters beginnt Christoph Stinn, die Idee und Hintergründe auf der Terrasse näher zu skizzieren. „audiosus als reines Anpasskonzept anzusehen, wäre falsch. Es ist vielmehr ein Gesamtkonzept – von der Akquise des Kunden, über die Beratung, der punktgenauen Empfehlung, der außergewöhnlichen und unvergleichlichen Anpassung, dem Abschluss bis hin zur Wiederversorgung. Denn unser Ziel bestand immer darin, dem Kunden in jeder Phase Begeisterung am Hören zu vermitteln“, erklärt Stinn.
Emotionen beim Hörgerätekauf zu wecken, sei auch das gewesen, was ihn mit seinem gleichberechtigten Partner Peter Möckel 2011 zusammengebracht hätte. „Wir tickten in dem Punkt Emotionalisierung des Kunden sehr, sehr ähnlich. Uns fehlte die emotionale Bindung zwischen Kunde und Produkt. Peter hatte BMW verlassen und vermisste dies, weil dort jede Entscheidung vom bekannten Leitsatz Freude am Fahren abhängt und somit emotionsgesteuert ist. Und ich war durch meine Tätigkeit in der Hörgeräte-Industrie und als Kommunikationstrainer sowieso schon lange der Meinung, dass der Workflow in der Akustik eher auf den Akustiker als auf den Kunden ausgerichtet war.“, erläutert Stinn, der das Verhältnis zu Peter Möckel „als tiefgehende Freundschaft“ bezeichnet.
aurelia – nicht nur eine Adelsgeschlecht im antiken Rom, sondern auch eine Software
Die zentrale Komponente hinter dem audiosus-Konzept bildet dabei die aurelia-Software. Dabei handelt sich es um ein Freifeldanpasssystem, das auf Basis der Kurven gleicher Lautheit beruht. Das Grundprinzip Hörgeräte direkt via einer Art Hörtest im Freifeld einzustellen, das einst durch „Mozart“ (Hans Rainer Kurz) entwickelt wurde, reichte Christoph Stinn und Peter Möckel in der damaligen Form nicht. Zwei Jahre lang optimierten sie die Methodik, tüftelten ein Beratungs-, Marketing- sowie ein Kommunikationskonzept aus und entwickelten eine erste Version der aurelia-Software. Nach der Einreichung des Patentes der Methodik suchten sie den Markteintritt. „Ziel war es immer, ein leicht verständliches System sowohl für Kunden als auch für den Anwender zu haben. Das ist uns gelungen. Denn neben dem aurelia-System selbst und der Anpasssoftware des Herstellers sind keine weiteren Komponenten notwendig“, so Stinn, der dabei darauf hinweist, dass der Kunde während der Anpassung ohne direkte Ankopplung von Sonden frei im Anpassraum sitzt.
Um den individuellen Bedürfnissen der Hörakustiker in puncto Raumgrößen und Anforderungen an den Anwendungsbereich möglichst nahe zu kommen, baute audiosus darüber hinaus im Laufe der Jahre ein modulares Hardwaresystem dazu auf. Heute können Akustiker zwischen vier aurelia-Grundvarianten auswählen, die unterschiedliche Beschallungssysteme enthalten. Das gesamte Konzept ist softwarebasiert und bedient sich hochwertigsten und erprobten Hardwarekomponenten; die konfigurierten Mac minis und iPads sind speziell auf die aurelia-Systeme ausgerichtet. So sind selbst die ersten Systeme, die ausgeliefert wurden, auch heute noch auf aktuellem Stand sind. „Zum einen wollten wir ein Werkzeug in der Hand haben, mit dem man zuverlässig und ohne technische Störungen seiner Arbeit nachgehen und gegenüber dem Kunden seine fachliche Kompetenz demonstrieren kann. Zum anderen war für uns wichtig, dass die Software nicht zu komplex gestaltet ist und anwenderfreundlich bleibt. Denn Ziel ist es ja nicht, die Software in ihrer Komplexität zum Mittelpunkt der Anpassung zu machen, sondern den Kunden aktiv in die Beratung einzubinden“, so Christoph Stinn. Module, wie etwa die Audiometer Integration, ein X-Display oder dem aurelia Richtungshören, das für Kinderanpassungen sowie starke Hörverluste verwendet wird, könnten daher im Nachgang jederzeit zusätzlich integriert werden.
Auch bei den Lautsprechern habe man keine Kompromisse gemacht. Generell setze man auf rein professionelle Beschallungssysteme, die über eine extreme Richtwirkung verfügen. Schließlich wolle man ja nicht riskieren, dass mit dem offenen Kopfhörer im Freifeld eine Rückkopplung entsteht, scherzt der ehemalige Tontechniker Stinn, während er dies an der höchsten Ausbaustufe demonstriert. Ein Lächeln breitet sich im Raum aus.
Kunden werden anders in den Prozess integriert
Dass das audiosus-System so gut funktioniere, sei jedoch nicht auf den sensationellen Klang zurückzuführen, den man bei der Anpassung erzeugen könne. „Natürlich sind Kunden sehr beeindruckt, wenn sie zum ersten Mal auf einen solchen Klang stoßen. Das sollte es auch, da gute Verkaufskonzepte stets auf die grundlegenden Dinge, die ein Kunde möchte, zurückgreifen. Das geniale an audiosus ist aber, dass mit diesem Konzept Kundenwunsch und der Wunsch des Hörakustikers komplett übereinstimmen“, erklärt Christoph Stinn. Zum einen, weil der Kunde eine konkrete Empfehlung erwarte, die möglichst früh zu einem Resultat führe. Zum anderen, weil es dem Hörakustiker durch das audiosus-Anpasskonzept gelinge, Anpasszeiten und Zahl der Termine deutlich zu reduzieren. „Die Art und Weise, wie Beratung und Anpassungen erfolgen, führt automatisch dazu, dass der Kunde völlig anders in den Gesamtprozess involviert und mitgenommen wird. Obwohl die Einstellung durch den Akustiker vorgenommen wird, geht der Kunde mit dem Gefühl nach Hause, die Anpassung selbst mitgestaltet zu haben. Dadurch erzielen wir eine sehr schnelle Erstakzeptanz – trotz geschlossener Versorgung“, so Christoph Stinn weiter.
Dies sei jedoch nur möglich, wenn die Fachkompetenz des Akustikers in allen Phasen ersichtlich bleibe. Auch im Hinblick auf die akustische Anbindung. audiosus sei daher eine Kombination aus dem System und dem, wie deutlich man seine Fachkompetenz zeige. „Glaubwürdigkeit entsteht durch fachliche Kompetenz. Und fachliche Kompetenz äußert man dadurch, indem man abgegebene Versprechen auch einhalten kann. Wie glaubwürdig ist man aber, wenn der Kunde das Geschäft ohne geschlossene Anpassung verlässt, obgleich man weiß, dass es ihm allein wegen der Dynamik gut getan hätte?“, argumentiert Christoph Stinn.
Aus diesem Grund sei audiosus auch als Anpassverfahren zu verstehen, dass auf geschlossene Anpassung spezialisiert sei. Natürlich sei man sich dabei bewusst, dass der Kunde, was die Erstakzeptanz betrifft, prinzipiell eine offene Versorgung bevorzuge. Eine Im-Ohr-Quote von über 70 Prozent in den beiden audiosus Hörzentren und der „Wow-Effekt“ nach der Anpassung mitsamt der audiosus-Erstakzeptanz zeigten aber, dass man den Kunden sehr wohl von einer geschlossenen Versorgung überzeugen könne. „Mit diesem Verfahren treffen wir den absoluten Zeitgeist und gehen zurück zu mehr Fachlichkeit. Und mehr Fachlichkeit erreiche ich nur, indem ich das Thema geschlossenerererer anpasse. Warum sage ich geschlossenerererer? Weil das Wort geschlossene Anpassung eigentlich falsch ist, da wir belüftungstechnisch immer offen anpassen und eine 1,2mm oder 1,4mm Bohrung mit reinnehmen“, erklärt Stinn weiter, der auch gern mit individuell erstellten Otoplastikdomes arbeitet, die bis hinter den zweiten Gehörgangsknick reichen.
Nicht zuletzt basiert Christoph Stinn zufolge der Erfolg von audiosus auch darauf, dass sich sämtliche akustisch angekoppelten Systeme herstellerübergreifend recht leicht mit audiosus einstellen lassen. Ob nun Hörsysteme, CIs, Knochenleistungssysteme oder FM-Anlagen. „Bei NAL und DSL sprechen wir ja stets über Anpasswege, die übrigens nur Hochton und Schrägabfälle abdecken. Um einen solchen zu bestimmen, brauche ich aber immer eine Basis, also ein Hörvermögen bzw. einen Hörverlust. Obendrauf kommt eine Anpassungsmethodik. Wir reden hier also über eine Addition von Toleranzen, die mit dem Zielanpassungsverfahren von audiosus nicht passieren können, da zur Anpassung selbst kein Hörverlust notwendig ist und wir ja alles auf Kurven gleicher Lautheit einstellen“, argumentiert Christoph Stinn. Schließlich erfolge die Wahrnehmung von leisen, lauten, mittleren Pegeln aufgrund der Eingabe in das Freifeld wieder genauso wie bei einem Normalhörenden.
Um das audiosus-Anpasskonzept in seinen Grundzügen zu verstehen und anzuwenden, sei Christoph Stinn zufolge lediglich ein Schulungsaufwand von einem Tag einzuplanen. Das hieße jedoch nicht, dass man danach beliebig loslegen könne. Zum einen brauche man die Erfahrungswerte mit dem audiosus-System selbst. Zum anderen müsse man darauf achten, dass die fachliche Kompetenz, die man gegenüber dem Kunden aufgebaut habe, nicht verloren ginge. Daher gründeten Christoph Stinn und Peter Möckel gleich mit Markteintritt auch die audiosus-Akademie. Das Schulungszentrum, das Gruppengrößen von acht bis zehn Personen aufnehmen kann, bietet neben den audiosus-Initialschulungen auch zahlreiche offene Seminare zu vielen Themen, wie etwa Hörgerätetechnik, Ohrabdrucknahme oder In-Ear. „Durch audiosus gelingt es, dass der Hörakustiker seine fachliche Kompetenz mehr unter Beweis stellen und schneller zeigen kann, als das normalerweise der Fall ist. Dennoch sollte man noch nicht Pirouetten ziehen, wenn man noch nicht angefangen hat zu tanzen. Viele sehen, was wir tun, und denken anschließend, sie könnten es gleich modifizieren. Das System ist zwar extrem einfach, dennoch ist es letztendendes eine komplett andere Art des Anpassens“, so Christoph Sinn abschließend. Es scheint dennoch so, als würde diese Art des Anpassens, immer mehr Befürworter für sich gewinnen – die steigende Anzahl der Partner lässt dies zumindest erahnen.