75 Jahre Dreve
Audio Infos: Herr Dr. Dreve, im Jahre 1949, also mitten in der Nachkriegszeit, gründete Ihr Vater Wolfgang ein zahntechnisches Labor in Unna. Wie kam er auf diese Geschäftsidee? Hat er aus der Not eine Tugend gemacht oder steckte hinter der Firmengründung ein ausgetüftelter Plan?
Volker Dreve: Mein Vater war Soldat und kam verletzt aus dem Krieg zurück. Warum er gerade Zahntechniker geworden ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber wie es eben in der Gründerzeit so üblich war, hat er sich selbständig gemacht. Dann lernte er meine Mutter im Tennisclub kennen und stellte sie als Lehrling ein. 1955 fertigten die beiden für einen befreundeten Zahnarzt die ersten Otoplastiken aus Acrylat an. Die Ohrabformmaterialien auf Silikonbasis läuteten eine neue Ära ein, wurden schnell auch international in der Hörakustik bekannt, und meine Eltern wurden zu Pionieren der Branche. Und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass mein Vater den Namen Otoplastik erfunden hat.
Audio Infos: Heute führen Sie das Unternehmen in zweiter Generation weiter. Ihre Frau Gabi ist Rechtsanwältin und kümmert sich um Dreves Rechtsabteilung, und auch Ihre Tochter Victoria ist mittlerweile in das Unternehmen eingestiegen. Was zeichnet die einzelnen Dreve-Generationen aus?
Volker Dreve: Meine Eltern hatten definitiv diesen Gründer- und Erfindergeist, besonders mein Vater. Er fertigte in der Nacht Zeichnungen an, um meine Mutter nicht aufzuwecken, und baute sie am nächsten Tag im Labor nach. Auf eine solche Zeichnung geht beispielsweise auch die Entwicklung des Tiefziehgeräts zurück, das heute noch zur Herstellung von Kunststoffschienen dient, mit denen Zahn- und Kieferprobleme passgenau behandelt werden können. Später wurden zu dem Material auch die Doppelkolbenabdruckspritze und die Doppelkartuschen für 1:1 Silikone eingeführt. Mein Vater entwickelt viele Ideen und Produkte, die später von anderen in der Branche nachgemacht wurden. Er war ein richtiger Daniel Düsentrieb (lacht). Ich selbst wollte nach meinem Studium der Zahnmedizin eigentlich noch andere Erfahrungen sammeln, aber dann wurde mein Vater krank und ich stieg viel früher als geplant in das Unternehmen meiner Eltern ein, nämlich 1989. Meine Schwester arbeitete damals schon bei uns als Hörakustikerin, später dann in der Firma Ihres Mannes. Mein Vater nahm mich also an seine Hand und wir hatten noch ein paar gemeinsame und schöne Jahre, bis er 1996 verstarb. Nach seinem Tod konzentrierte sich meine Mutter dann auf das Labor und ich übernahm den Vertrieb und das Management der Firma. Ich trieb aber auch die Internationalisierung voran: Inzwischen arbeiten 400 Mitarbeiter bei der Dreve-Firmengruppe – 365 Mitarbeiter am Standort in Unna, weitere in den USA. Wir hatten auch Standorte in Singapur und Moskau, die es heute nicht mehr gibt. Derzeit ist aber ein weiterer Auslandstandort in der konkreten Planung. Zudem habe ich neben der Internationalisierung früh das Potenzial der digitalen Möglichkeiten erkannt. So schlug ich vor mehr als 20 Jahren meiner Mutter vor, 3D-Drucker in unserem Labor einzusetzen. Sie legte mir keine Steine in den Weg und investierte 180.000 Euro. Man könnte sagen, dass wir die Otoplastiken im Jahr 2003 das zweite Mal erfunden haben. Das war gewagt und bescherte uns schlaflose Nächte und sehr viel Kritik aus der Branche. Wir würden jetzt nicht mehr „handwerklich arbeiten”, hieß es damals. Aber rückblickend war es genau der richtige Schritt zur richtigen Zeit. Der 3D-Druck hat dank seiner Präzision für schwerhörige Menschen enorme Vorteile, und auch die Umsätze schnellten in die Höhe.
Victoria Dreve: In dieser Hinsicht war mein Vater wirklich ein Visionär. Das wurde mir während meines Studiums 2019 so richtig bewusst, als wir an der Uni über 3D-Druck gesprochen haben. Da habe ich zu meinem Professor gesagt: „Wie bitte? Sie wollen uns allen Ernstes den 3D-Druck als neue Technologie verkaufen? Das machen wir bei uns in der Firma schon seit 2003!” Und mein Professor antwortete: „Ach Victoria, klär’ das besser nochmal zu Hause ab, ob das auch wirklich stimmt.” (lacht)
Audio Infos: Und jetzt sind Sie seit Oktober 2022 selbst in der Firma aktiv. Haben Sie schon bestimmte Vorstellungen davon, wie Sie das Unternehmen Dreve in der dritten Generation prägen möchten?
Victoria Dreve: Für mich war von Kindesbeinen an klar, dass ich in unseren Familienbetrieb einsteige. Ich wollte noch nie etwas anderes machen, deswegen bin ich auch direkt nach meinen zwei Studiengängen der Betriebswirtschaft und Finance sowie Auslandsaufenthalten in London und Dubai hier in die Firma eingestiegen. Das war wie ein selbstverständlicher Prozess, wahrscheinlich weil ich ja schon als Kind mit der Firma so vertraut war. Denn meine Eltern sprachen natürlich auch zu Hause unentwegt über die Firma und nahmen mich schon früh auf Messen mit, deswegen kenne ich viele Gesichter und Unternehmen der Branche schon sehr lange. Derzeit kümmere mich verstärkt um Projektmanagement, Prozessoptimierung und interne Abläufe. Umfassende Nachhaltigkeitsmaßnahmen waren die ersten Themen, die ich sofort angegangen bin. Zum Beispiel Umverpackungen unserer Produkte. Denn es muss ja nicht sein, dass jede Otoplastik in einer Plastiktüte verschickt wird. Allerdings sind solche Projekte sehr komplex und langwierig, denn wir möchten ja auch auf dieser Ebene unsere Qualitätsstandards einhalten können. Aber ich denke, dass wir in dieser Hinsicht schon viel bewegt haben. Auf unserer Webseite gibt es auch einen ausführlichen Nachhaltigkeitsbericht über unsere Initiativen.
David Bockhorn: Also ihren Input spürt man in der Firma schon merklich, das hat Victoria jetzt sehr bescheiden dargestellt. Denn gerade Medizinprodukte kann man ja nicht einfach so „grün” verpacken, weil beispielsweise ein Produkt aus Silikon schon auf einen winzigen Sticker extrem reagieren kann. Wir testen die verschiedensten Produkte über lange Zeit und kooperieren mit unseren Zulieferern. Solche Veränderungsprozesse sind also aufwendig und können sehr herausfordernd sein. Aber das hat Victoria wirklich gut im Griff und vor ein paar Tagen hat sie dafür sogar die Nachhaltigkeitsauszeichnung „EcoZert” in Empfang genommen. Dieses Zertifikat wird an Unternehmen vergeben, die einen verbesserten Ressourceneinsatz nachweisen können. Aber auch ganz generell wollen wir nicht nur Vorreiter auf diesem Gebiet sein, sondern auch als Vorbild dienen. Mit unserer firmeneigenen PV-Anlage können wir beispielsweise schon die Hälfte unseres benötigten Stroms selber herstellen. Die haben wir jetzt sein anderthalb Jahren und sie ist durchaus ausbaufähig, ein paar Dächer sind ja noch frei (lacht). Dazu sind 50 Prozent unserer Autoflotte E-Autos und unser Firmenparkplatz ist mit E-Ladesäulen ausgestattet.
Volker Dreve: Das Thema Nachhaltigkeit ist definitiv ein Thema der Zukunft, das wir weiter ausbauen werden. Nicht nur, weil wir auch immer häufiger von Kundinnen und Kunden, Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartnern und anderen Interessengruppen nach unseren Nachhaltigkeitsbemühungen gefragt werden. Wir sehen dieses Feld auch als Motivation, unsere Transparenz und Verantwortung weiter zu stärken. Im Dentalbereich arbeiten wir beispielsweise als erster Hersteller mit 3D-Druck-Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen. Das kommt sehr gut an.
Audio Infos: Ihre Firmengruppe ist aber auch gesellschaftlich sehr engagiert. Sowohl auf lokaler, nationaler als auch auf internationaler Ebene.
Victoria Dreve: Gegenüber unseren Mitarbeitenden unterstützen wir durch verschiedene Maßnahmen und Programme aktiv die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dazu gehören flexible Arbeitszeiten und flexible Elternzeit, Teilzeitmöglichkeiten und verschiedene Homeoffice-Optionen. In dem letzten Firmengebäude, das wir 2017 gekauft haben, haben wir zudem eine Kita eingerichtet.
Volker Dreve: Und durch meine lange und enge Freundschaft mit Bill Austin engagieren wir uns auch auf internationaler Ebene, bei diversen Wohltätigkeitsveranstaltungen von Starkey, aber auch bei den vergangenen Special Games in Berlin. Dort haben wir für viele Athleten aus der ganzen Welt Otoplastiken angefertigt. Diese Zusammenarbeit mit Starkey führen wir auch zukünftig fort. Im Dentalbereich statten wir dazu viele Sportler mit passgenauem Mundschutz aus, die deutschen Hockey-Nationalmannschaften sogar schon seit 1992. Auch bei den kommenden Olympischen und Paralympischen Spielen in Paris werden wir ein Labor im Olympischen Dorf haben, an dem sich alle Athleten einen individuellen Zahnschutz anfertigen lassen können.
Audio Infos: Wie feiern Sie eigentlich Ihr 75-jähriges Firmenjubiläum?
Volker Dreve: Im Grunde genommen feiern wir diesen Geburtstag das ganze Jahr über. Mit diversen Kundenaktionen und bei Messeauftritten. Allein im Dentalbereich sind wir ja schon auf 32 Messen vertreten. Außerdem hatten wir gerade einen Tag der Offenen Tür, an dem 300 Menschen teilgenommen haben. Und am Ende dieser Woche organisieren wir für unsere Mitarbeitenden ein großes Gala-Fest in der Stadthalle von Unna. Der Dresscode ist natürlich rot (lacht).
Audio Infos: Und wie wird sich Dreve zu seinem Firmenjubiläum auf der diesjährigen EUHA präsentieren?
Volker Dreve: Wir werden auf der EUHA ein neues, spektakuläres 3D-Druckverfahren präsentieren. Das wenden wir schon im Dentalbereich sehr erfolgreich an und wir sind derzeit dabei, es auch für die Hörakustik einsetzbar zu machen. Das wird unserer Meinung nach die nächste Generation des 3D-Drucks. Grundsätzlich geht es uns bei der EUHA aber auch darum, eine ganz klare Botschaft zu vermitteln. Denn obwohl moderne Hörsysteme digital einiges ausgleichen können, ist die Anpassung mit der individuellen Otoplastik nicht zu schlagen. Qualität kommt über die akustische Anpassung, besonders ab einem gewissen Grad des Hörverlustes. Dieser Weg muss gerade den jungen Hörakustikerinnen und Hörakustikern klar gemacht werden. Denn am Ende steht immer das Wohl des Patienten.
David Bockhorn: Produkttechnisch wird es auf der kommenden EUHA also so einige Highlights geben, mehr darf ich aber noch nicht verraten. Und wir werden uns auf jeden Fall viel interaktiver als in den Vorjahren präsentieren. Unsere Highlights sollen in Hannover erlebbar sein. Aber auch ästhetisch werden wir die 75 Jahre Jubiläum richtig ausnutzen. Zusammenfassend kann man sagen: Wir werden auf der kommenden EUHA auf jeden Fall auffallen.