ReSound ONE: Marina Teigeler & Jochen Meuser im Gespräch
Auch wenn es nicht explizit gesagt wird – mit dem ReSound ONE wird im Grunde eine neue Kategorie aufgemacht. Schließlich ist das neue Hörsystem weder IdO noch HdO oder RIC. Microphone & Receiver in the Ear-Design nennt man das bei ReSound, kurz M & RIE, was ausgesprochen beinahe wie Marie klingt.
Apropos Klang, im Gespräch erklären Geschäftsführer Jochen Meuser und Marina Teigeler, Direktorin Marketing und Product Management, die Besonderheiten dieses neuen Hörsystems.
Herr Meuser, Frau Teigeler, ReSound hat am ersten September ein globales, virtuelles Event abgehalten, quasi eine eigene Messe. Was war der Hintergrund für diese Veranstaltung?
Meuser: Zwei Komponenten haben hier eine Rolle gespielt. Zum einen natürlich Corona, wodurch ja eigentlich alle physischen Messen in diesem Jahr ausgefallen sind, auch die EUHA. Und zum anderen die große Markteinführung von ReSound ONE. Wir wollten natürlich so viele Kunden wie möglich erreichen und benötigten eine Alternative zu den ausgefallenen Messen. Für die einzelnen Länder hatten wir sogar einzelne Stände eingerichtet, an denen wir auf die Besucher eingehen konnten, sowohl per Chat als auch visuell. Der direkte Kontakt konnte so natürlich nicht ersetzt werden, aber es war eine gute Alternative für die erste Informationsvermittlung und Vorstellung der Highlights.
Können Sie uns verraten, wie viele Besucher sich insgesamt in das digitale Event reingeklickt haben?
Meuser: Wir hatten 9.000 internationale Hör- akustikerinnen und -akustiker an einem Tag. Damit war diese virtuelle Messe das größte Event, das je in der Branche stattgefunden hat. Auch wenn es virtuell war – wo und wie erreichen Sie sonst an einem Tag mit einer Veranstaltung 9.000 Teilnehmer? Das war schon etwas Besonderes.
Das Besondere am ReSound ONE ist, so haben Sie es angekündigt, ein zusätzliches Mikrofon, das sich am Receiver befindet. Was ist der Hintergrund der Entwicklung?
Meuser: Nichts ist so perfekt wie die Natur. Wir nutzen die Bionik, um Technologie zu entwickeln, die von der Natur inspiriert ist. Wir möchten das natürliche auditorische System unterstützen und es nicht ersetzen. Die traditionellen HdO-Geräte arbeiten mit 1- oder 2-Mikrofon-Technik und nehmen den Schall hinter dem Ohr auf. Wir platzieren jedoch zusätzlich ein 3. Mikrofon im Gehörgang. Hierdurch können auf einem natürlichen Weg Laufzeitunterschiede viel besser wahrgenommen und Richtungen präzise erkannt werden. Die Herausforderung war hierbei vor allem, das Mikrofon im Gehörgang zu platzieren. Hier stieß man bisher an physikalische Grenzen, weil der Rückkopplungspfad sehr kurz ist. Schon als man den Lautsprecher mit den RIC-Geräten ins Ohr brachte, war das etwas Besonderes, was die Klangqualität verbessert hat. Und nun platzieren wir auf der anderen Seite auch noch das Mikrofon im Gehörgang, um die natürliche Anatomie auszunutzen. Das macht das System in der Tat zu einer Revolution, wobei man mit solchen Begriffen immer vorsichtig sein sollte.
Sie bewerben ReSound ONE damit, dass man mit dem System noch natürlicher höre. Das gewährleisten Sie eben durch das Nutzen der natürlichen Anatomie?
Meuser: Genau. Durch die Platzierung des Mikrofons am Eingang des Gehörgangs wird der aufgenommene Schall durch die individuelle Ohranatomie geformt. Dies resultiert in einem natürlichen horizontalen und vertikalen Lokalisationsvermögen. Durch die Nutzung der individuellen Ohranatomie kann ein detailreicheres und volleres Klangbild wiedergegeben werden. Das Mikrofon wird in etwa 80 Prozent der Tragezeit, also wenn man sich in ruhigen und gemäßigteren Umgebungen befindet, genutzt. Kunden, die ReSound ONE bereits tragen, berichteten, sie würden nicht merken, dass sie Hörsysteme tragen, weil alles so natürlich klingt. Damit ist das System ein wenig wie ein IdO. Nur dass man beim ReSound ONE keinen Verschlusseffekt hat, weil man es bis zu einer Grenze relativ offen anpassen kann. Natürlich raten wir grundsätzlich zu Micro-Otoplastiken, aber wir haben für die Versorgung auch extra Domes.
Wenn Sie sagen, dass in etwa 80 Prozent der Tragezeit bzw. in ruhigen und moderaten Umgebungen das Mikrofon im Gehörgang genutzt wird: Heißt das, dass nur in lauteren Umgebungen die zwei bzw. vier Mikrofone am Gehäuse dazu geschaltet werden?
Meuser: Die Mikrofone hinter dem Ohr werden dann interessant, wenn die Situation geräuschvoller wird. Mit denen wird die Richtmikrofontechnik dazu geschaltet. Das macht das System, diese Kombination auch so leistungsfähig. Das technologisch aufeinander abzustimmen, hat viel Zeit gekostet – aber das ist eben das Besondere. Wir sind ja nun in der Phase, dass die Hörsysteme an den Ohren vieler Endkunden landen. Und auch da halten die Geräte das, was wir versprechen. ReSound ONE ist für uns schon etwas Besonderes. In der Historie von GN vergleichen wir es mit dem ReSound Air, das die Branche ja sehr verändert hat. Oder mit der Made for iPhone- oder der 2,4 GHz-Technologie. Und nun haben wir das Microphone & Receiver in the Ear-Design, kurz M & RIE, was, denke ich, die Branche auch wieder verändern wird.
Teigeler: Damit vereinen wir die Vorteile eines IdO- und RIC-Systems mit dem M & RIE-Design in einem Gerät. Was hier außerdem wichtig ist: Das ReSound ONE ist das erste voll ausgestattete Hörsystem im M & RIE-Design*. Ein niederländisches Unternehmen hatte vor einigen Jahren bereits mal ein System, das in eine ähnliche Richtung ging. Aber das ReSound ONE ist das erste voll ausgestattete Hörsystem dieser Art.
Was Sie außerdem in der Werbung sagen ist, dass das ReSound ONE ein weitaus individuelleres Hören ermögliche. Auch das erreichen Sie eben durch die Schallaufnahme über das Mikrofon im Gehörgang? Oder braucht es dafür noch mehr?
Meuser: Natürlich arbeitet das ReSound ONE auch mit einem neuen Prozessor. Das ist ja das, was alle tun – mehr Rechenleistung in die Geräte bringen. So haben wir hier nun auch mehr Rechenleistung, was wichtig war, um all das überhaupt umsetzen zu können. Aber es ist in der Tat so, dass das Mikrofon im Ohr und die dadurch mögliche Ausnutzung der eigenen Anatomie – deswegen sprechen wir hier auch von organic hearing – das Entscheidende für das natürliche Hören ist. Außerdem ist es wichtig, wie die Geräte am Ohr liegen. Sie sollen nicht als Fremdkörper wahrgenommen werden. Das Gehäuse-Design des ReSound ONE ist komplett neu und sorgt für einen sehr tiefen Schwerpunkt des Geräts sowie für eigentlich nur einen Auflagepunkt. Dadurch liegen die Geräte extrem gut am Ohr und es ist der Tragekomfort gegeben. Was uns außerdem Kollegen hier im Haus, die erfahrene Hörgeräteträger sind, berichteten, ist, dass man sich mit ReSound ONE sehr gut orientieren und Sprache verorten kann.
Das neue System verfügt auch über das neue Features All Access. Was hat es damit auf sich?
Meuser: Wie gesagt setzen wir in der Signalverarbeitung in geräuschvoller Umgebung die Richtmikrofontechnik ein. Mit All Access übertragen wir außerdem, wenn Sprache von einer Seite kommt, diese induktiv auf die andere Seite, so dass man sie in geräuschvoller Umgebung noch besser hören kann.
Teigeler: Das ist der binaurale Beamformer. Michael Luikenga, unser Leiter der Audiologie, erklärt das so: Wenn man im Taxi sitzt, links das Fenster geöffnet ist und man sich rechts unterhält, dann wird die Sprache auch auf das linke Ohr übertragen, so dass man das Gespräch besser verstehen kann.
Ebenfalls neu ist das Feature Ultra Focus. Wozu wird das eingesetzt?
Meuser: Dieses Feature lässt sich über die sehr gut zu ertastende Programmtaste oder über die App aktivieren. Sie können sich das vorstellen wie eine Stirnlampe, die nur einen kleinen Punkt genau beleuchtet. Wenn Sie damit in einen dunklen Keller gehen, würden Sie allein mit dieser Lampe sehr lange brauchen, bis Sie etwas finden. Mit Ultra Focus hellen wir nun, um bei dem Bild zu bleiben, den Keller insgesamt etwas auf, so dass man auch die Umgebung noch wahrnimmt. Das ist ein tolles Feature, wenn man nach vorne einen extrem starken Fokus ausfahren möchte.
Ist der Receiver durch das zusätzliche Mikro- fon eigentlich größer geworden?
Meuser: Nein. Natürlich gibt es den M & RIE-Hörer in verschiedenen Längen, und für das Mikrofon gibt es ein kleines, tauschbares Sieb. Zudem gibt es weitere Hörer. Aber wir gehen davon aus, dass man, was den zu versorgenden Hörverlust angeht, in 50 bis 60 Prozent der Fälle mit dem M & RIE-Hörer arbeiten kann. Braucht man doch mal mehr Verstärkung, kann man auf andere Hörer zurückgreifen. Was man hier jedoch nicht vergessen darf: Der Rückkopplungspfad ist viel kürzer, egal, wie man den mit einem Schirmchen abschirmt.
Teigeler: Was mit dem ReSound ONE außerdem verbessert möglich ist, ist das Richtungshören. Wir haben dazu intern eine Demonstration gemacht, für die wir einen Stuhl auf eine drehbare Palette gestellt haben. Darauf setzte sich jemand hin und um ihn herum liefen mehrere Kollegen, blieben stehen und haben gesprochen. Der Proband sollte dann zuordnen, welche Person gesprochen hat. Zunächst machten wir den Test mit einem älteren Hörsystem, und da waren die Ergebnisse eher ungefähr. Mit dem ReSound ONE hingegen ging das sehr präzise und schnell, selbst, wenn vier Personen nah beieinanderstanden. Damit geben wir mit dem Gerät auch in puncto Orientierung noch mal mehr Sicherheit als mit den älteren Geräten.
Meuser: Das lässt sich auch messtechnisch mit einer Spektrogrammdarstellung zeigen. Bei Hörsystemen, die hinter dem Ohr getragen und in 90 Prozent der Fälle in Deutschland eingesetzt werden, wird ja mit der Restaurierung des Pinna-Effektes gearbeitet. Das, was man hinter dem Ohr auffängt, wird also so verarbeitet, als hätte man das natürlich gehört. Das ist mit dem ReSound ONE nicht mehr notwendig, da wir nun auch im Ohr Schall aufnehmen und damit die beste Richtcharakteristik haben. So kann man 360 Grad exakt bestimmen, woher die Sprache kommt, auch wenn man blind ist. Was außerdem neu ist: Wir arbeiten nicht mehr mit zwei Anschlüssen für den Lautsprecher, sondern wir nutzen nun acht Pins, weil wir für das Mikrofon die weiteren Kontakte benötigen. Welcher Hörer angeschlossen ist, wird automatisch erkannt und in der Software entsprechend berücksichtigt. Zudem liegt der Hörer vom Anschluss hier etwas tiefer als sonst, damit das Gerät tief sitzen kann und von vorne nichts zu sehen ist.
Ändert sich mit dem M&RIE-Hörer auch etwas im Anpassprozess?
Meuser: Nein, in der Anpassung kann man wie gewohnt arbeiten. Allerdings sollte man mit der Otoplastik nicht das Mikrofon zumachen, das wäre kontraproduktiv. Und durch das Mikrofon im Ohr hat man nun eine natürliche Windgeräuschunterdrückung, weil die Ohrmuschel die Windgeräusche abschirmt.
Und wann die Mikrofone hinter dem Ohr dazu geschaltet werden, entscheidet die Automatik?
Meuser: Das passiert alles automatisch, ja. Bisher arbeiteten wir ja immer mit Hörprogrammen für verschiedene Hörsituationen. Nun haben wir ein System, mit dem man im Grunde für alle akustischen Räume einen Universalschlüssel hat. Die Signalverarbeitung ist so gestaltet, dass man keine verschiedenen Programme mehr benötigt. Die Automatik regelt das. Daneben hat man, wenn gewünscht, vielleicht noch ein Musikprogramm. Ansonsten hat man eben dieses eine Programm, mit dem man in allen Situationen hören kann. Das ist ein Unterschied zu der Signalverarbeitung, wie wir sie bisher eingesetzt haben. Aber natürlich kann man das in der Fitting Software auch alles selbst einstellen bzw. wieder verstellen, und das sogar sehr umfangreich.
Gibt es beim ReSound ONE auch Neuerungen im Bereich der Konnektivität?
Meuser: Der Vorteil des ReSound ONE ist, dass man für das System kein neues Zubehör benötigt. Darüber hinaus sind die Geräte bereits für zukünftige Weiterentwicklungen vorbereitet.
Und über die App hat man als Nutzer ebenfalls die gewohnten Eingriffsmöglichkeiten?
Meuser: Die Smart 3D App ist extrem benutzerfreundlich und bei den Nutzern sehr beliebt. Mit ihr kann man die Programme auswählen, die Lautstärke ändern, das Telefon abheben oder den Ultra Focus einschalten.
Werden die Änderungen, die der Nutzer über die App während des Tragens vornimmt, gespeichert, so dass man beim Termin im Betrieb nachvollziehen kann, was der Nutzer verändert hat?
Teigeler: Zur Optimierung der Anpassung können die Änderungen verschiedener Parameter in den Geräten gespeichert werden, der Nutzer muss dem allerdings zunächst zustimmen. Konkret lässt sich so erfassen, wie lange ein Nutzer in einem Hörprogramm verbringt und welche Lautstärkeänderungen er vornimmt. Im Fachgeschäft lassen sich diese Daten dann in der ReSound Smart Fit nachvollziehen. Wenn ein Kunde außerdem ReSound Assist Live verwendet und den zugehörigen Datenschutzbestimmungen zugestimmt hat, lässt sich das auch hierüber nachvollziehen.
Welche Marketingtools stellen Sie Ihren Kunden für deren Vermarktung des ReSound ONE zur Verfügung?
Teigeler: Wir haben die klassischen Materialien wie Anzeigenvorlagen, PR-Texte, Bestandskundenmailings, Filme, Online Banner, Social Media Content, die klassische Schaufensterdeko, Aktionen, Postwurfsendungen – also ein wirklich großes Portfolio.
Meuser: Die Nachfrage ist nicht nur nach den Geräten enorm, sondern auch nach Aktivitäten, die man zum ReSound ONE machen kann. Da geht heute ja auch immer mehr über Social Media, wo man das schnell verbreiten kann.
Noch eine letzte Frage: Sind Sie in Münster eigentlich schon wieder im Normalbetrieb?
Meuser: Wir hatten anderthalb Monate Kurzarbeit, kamen dann aber relativ schnell wieder zurück in den Normalbetrieb. Was wir teilweise aber immer noch einsetzen ist mobiles Arbeiten. Das ist schon eine Alternative geworden, und wir haben auch gesehen, wie man sich viele Meetings sparen kann. Videokommunikation kann schon eine persönliche Note aufkommen lassen, auch wenn das persönliche Gespräch so nicht ersetzt werden kann.
Herr Meuser, Frau Teigeler, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
* Mikrofon im Ohr und zwei direktionale Standardmikrofone, Direktionalitätsfunktionen, Wireless-Audiostreaming