Ein langer Weg – das HörStudio Andres in Hamburg
Ist man offen und engagiert, kann das Berufsleben spannend werden. Die Hörakustikmeisterin Petra Andres ist dafür ein gutes Beispiel. Nicht lang nach ihrer Freisprechung ergibt sich für sie eine erste zusätzliche Aufgabe.
Mit der Zeit kommt eins zum anderen. Dank ihres 2017 eröffneten Betriebs kann sie nun auch selbst von all dem profitieren.
Eine Dame bringt einen Strauß Blumen vorbei. Sie will sich für den guten Service bedanken, den sie hier erfahren hat. Auf den Beobachter wirkt die Szene an einem Mittwochvormittag im August wie bestellt. Darauf angesprochen sagt Petra Andres, dass öfter mal Kunden außer der Reihe vorbeikämen, und sich bedanken. Nichts Ungewöhnliches im HörStudio Andres in der Hamburger Innenstadt. Mit dem Anfang 2017 eröffneten Betrieb hat sich die vielfach engagierte und weiterqualifizierte Hörakustikmeisterin einen langjährigen Wunsch erfüllt. Über zu wenig Aufgaben hätte sie sich allerdings auch vorher nicht beklagen können.
Petra Andres gehört dem Meisterprüfungsausschuss der Handwerkskammer Hannover an, ist Dozentin im Hannover Repetitorium, Gastdozentin an der Akademie in Lübeck, Pädakustikerin, CI-Akustikerin, und für die Hamburger Ärztekammer gibt sie Fortbildungskurse für HNO-Ärzte. „Ich finde, dass man sich in der Aus- und Weiterbildung auch ein bisschen für den Berufsstand engagieren kann“, sagt sie. Natürlich sei das „zeitaufwendig“ und man müsse „etwas dafür tun“. Aber das mache sie gern.
Ihren Weg in die Hörgeräteakustik, wie der Beruf Anfang der 1980er-Jahre noch heißt, findet die gebürtige Hannoveranerin recht schnell. In der elften Klasse besucht sie das Berufsinformationszentrum und schaut sich Informationsbroschüren über verschiedene Berufe an. Auch eine Broschüre über die Hörgeräteakustik ist dabei. „Ich las mir durch, was in der Mappe stand und fand das ganz interessant“, erinnert sie. Generell interessiert sie damals der Bereich Feinmechanik. Uhrenmacherin, Optikerin, irgendetwas in dieser Richtung möchte sie machen. Schließlich wird es Hörgeräteakustik. In dem kleinen Betrieb „Die Hörhilfe“ in Hannover absolviert sie zunächst ein Praktikum, nach der Schule beginnt sie hier ihre Ausbildung.
1987 wird sie freigesprochen. Anschließend arbeitet sie eine Zeit lang in ihrem Ausbildungsbetrieb, danach in einer Filiale eines großen Akustikers in Hannover und nachdem sie dort Erfahrung gesammelt hat wechselt sie auf Anregung einer Freundin an die Medizinische Hochschule Hannover (MHH). Dort ist sie in der Kinder- sowie in der HNO-Klinik tätig. Letztere wird damals von Professor Lehnhardt geleitet, der hier 1990 das weltweit erste Cochlea-Implant-Zentrum gründet.
In der Kinderklinik passt Petra Andres auch Hörgeräte an. „Die Kinderversorgungen liefen damals überwiegend noch im klinischen Bereich, die Pädakustik kam ja erst später auf“, erzählt sie. Die Anpassungen laufen nach Anordnung der Ärzte. Die Mediziner schreiben auf die Verordnungen sowohl, welches Gerät anzupassen ist, als auch, welche Einstellungen vorgenommen werden sollen. Bis zur Pädakustik, wie man sie heute kennt, ist es da noch ein weiter Weg. Die wird sich erst Ende der 90er Jahre als Fachgebiet in der Hörakustik etablieren. Erste Fortbildungen dazu starten bereits 1994 in Lübeck.
Ihre Tätigkeiten an der MHH unterscheiden sich aber auch darüber hinaus von denen im Fachbetrieb. „Es ging auch viel um Messungen, darunter objektive Messverfahren, mit denen man im Betriebsalltag eher nicht arbeitet“, erzählt Petra Andres. Direkt ergibt sich eine weitere Aufgabe für sie. „Die MHH hat auch eine Logopädieschule. Und Logopäden werden auch in Audiologie und Hörgerätekunde unterrichtet, damit sie, wenn sie hörgeschädigte Kinder oder Erwachsene therapieren, auch darüber etwas wissen“, erklärt sie. Man fragt Petra Andres, ob sie sich vorstellen kann, das zu übernehmen. Und so beginnt sie, angehende Logopäden in Hörgerätekunde und Audiologie zu unterrichten.
Drei Jahre bleibt sie an der MHH, dann geht sie, der Liebe wegen, nach Hamburg. Hannover wird aber weiter eine wichtige Rolle in ihrem Berufsleben spielen. Sie wird von einem bekannten Unternehmen aus ihrer alten Heimat angeworben und mit dem bundesweiten Aufbau des Pädakustikbereichs betraut. In Hamburg Poppenbüttel baut sie für den Filialisten außerdem einen auf die Kinderversorgung spezialisierten Fachbetrieb auf und übernimmt dessen Leitung. Auch einen Ersatzteilservice für Cochlea-Implatat-Träger bietet das Unternehmen an, das damals mit dem CI-Hersteller Cochlear kooperiert. So kommt es hier erneut zu Berührungspunkten mit CI-Trägern. Parallel bereitet sich Petra Andres berufsbegleitend auf die Meisterprüfung vor, die sie 1995 erfolgreich ablegt.
Als sie nach der Geburt ihres ersten Sohnes in Teilzeit ins Berufsleben zurückkehrt, gibt sie kurze Zeit später ihre Stelle bei dem Hannoveraner Unternehmen auf. „Das habe ich schon bedauert“, sagt sie rückblickend. „Ich hatte da eine schöne und spannende Zeit mit vielen Freiheiten, aber mit Familie ließ sich der lange Arbeitsweg und die Verantwortung nicht optimal vereinen.“
Es ist aber nicht nur der Job bei dem Filialisten, den die junge Mutter aufgibt. Schon vor der Geburt ihres ersten Sohnes kommt bei ihr die Idee auf, sich selbstständig zu machen. „Ich dachte mir, dass ich mit Leib und Seele dabei bin, dass das einfach mein Beruf ist und nicht nur ein Job“, erzählt Petra Andres. Gute Voraussetzungen für eine Selbstständigkeit, doch letztlich entscheidet sie sich für die Familie. „Noch heute bin ich der Überzeugung, dass man sich nicht auf beides komplett einlassen kann. Irgendetwas würde dabei auf der Strecke bleiben, und das wollte ich nicht“, sagt sie.
Stattdessen gehen andere Türen auf. In Lübeck belegt sie von 1994-1997 den ersten Pädakustik-Kurs, der dort angeboten wird. Und weil sie seit einigen Jahren selbst auf dem Feld aktiv ist, fragt man sie, ob sie als Gastdozentin für kommende Kurse Praxisbeispiele beisteuern könnte. So kommt eins zum anderen. Sie arbeitet in Teilzeit als Akustikerin und ist Gastdozentin in Lübeck. Zudem beginnt Petra Andres 1999, sich im Meisterprüfungsausschuss der Handwerkskammer Hannover zu engagieren.
Eins fügt sich ins andere
2011 sind ihre beiden Kinder groß genug und Petra Andres kann wieder mehr arbeiten und kehrt nach einigen Jahren Tätigkeit im Umland wieder nach Hamburg zurück. Wieder ergibt sich eine neue Aufgabe für sie. Weil im Hamburger Raum gerade kein Akustiker einen Cochlea-Implantat-Service anbietet, bittet die Selbsthilfegruppe sie, das zu übernehmen. Petra Andres willigt, nach Absprache mit dem derzeitigen Arbeitgeber, gerne ein. Wie bei der Pädakustik absolviert sie die Fortbildung zum CI-Akustiker in Lübeck erst später. Und wieder wird sie für diese Disziplin auch Gastdozentin in Lübeck. Was ihr in diesem Zusammenhang wichtig ist: „Der CI-Akustiker berechtigt einen nicht, in irgendeiner Form selber CIs anzupassen. Das hat anfangs zu einigen Irritationen geführt. Die eigentlichen Programmierschulungen findet jeweils bei den verschiedenen CI-Herstellern statt.“ Ohnehin werde man nicht einfach so CI-Akustiker. „Da muss man viel Zeit investieren, Netzwerke aufbauen, Präsenz zeigen und wirklich interessiert sein. Das ist sicher kein Markt, auf dem man mal eben viel Geld verdienen kann.“ Zudem brauche man schriftlich dargelegte Kooperationen mit den Kliniken. Ohne die geht gar nichts.
Inzwischen arbeitet Petra Andres nahezu wieder in Vollzeit für einen mittelständischen Betrieb in Hamburg, wo sie erneut den Pädakustik- und den CI-Bereich aufbaut. Als sie merkt, dass das Netzwerk, das sie sich Jahre zuvor aufgebaut hat, noch da ist, kommt auch die Idee, sich selbstständig zu machen, wieder auf. „Ich überlegte mir, dass es ja auch ganz schön gewesen wäre, wenn das mal meins gewesen wäre“, erzählt sie.
Schließlich wird der Betrieb, für den sie arbeitet, verkauft. Nach der Veranstaltung, auf der die Mitarbeiter über den Verkauf informiert wurden, sagt einer ihrer beiden Söhne, dass es nun Zeit wäre, ein eigenes Geschäft aufzumachen. „Sogar einen Namen hatte er sich schon ausgedacht. Das war wirklich süß“, erzählt Petra Andres.
Das klassische Alter für den Beginn einer Selbstständigkeit hatte sie da eigentlich schon überschritten, schmunzelt sie. „Aber ich fand das Risiko überschaubar.“ Zudem ruhe man mehr in sich und wisse, was man kann. Und natürlich soll all die Erfahrung, die Pädakustik, die CI-Akustik in ihren eigenen Betrieb miteinfließen.
Das HörStudio Andres
Mit ihrer Expertise würde Petra Andres nicht nur Kunden aus den Stadtteilen rund um ihren Standort ansprechen. Das ist schnell klar. Sie benötigt also eine Ladenfläche mit guter Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, am besten in der Hamburger Innenstadt. Sie beginnt mit der Suche in nicht allzu großer Entfernung zum Hamburger Hauptbahnhof. Kein einfaches Unterfangen. Die Mieten sind hoch, vor allem für die ebenerdigen Ladenflächen.
„Ich ging davon aus, dass ich im ersten oder zweiten Stock etwas finden würde“, sagt sie. Die meisten Akustikbetriebe in der Hamburger Innenstadt befinden sich in solchen Lagen. Zudem hofft Petra Andres, als Vermieter einen Hamburger Kaufmann zu finden, der nicht noch das Letzte aus den Mietern herauspressen will. Und genau so kommt es. „Da dachte ich mir, dass es wohl so sein sollte“, lacht sie.
Anfang 2017 eröffnet sie in Innenstadtlage nahe dem Domplatz auf einer ebenerdigen Geschäftsfläche das HörStudio Andres. Kurz darauf gewinnt sie mit Alexandra Fürst bereits ihre erste Mitarbeiterin. „Ich hatte sie ausgebildet. Und als sie erzählte, dass sie wechseln möchte, war ich darüber natürlich nicht traurig. Das Thema Mitarbeiter ist ja schon immer ein schwieriges Thema“, berichtet die Inhaberin. Dass sie heute im HörStudio Andres zu fünft sind, mache sie daher „schon etwas stolz.“ Neben eben jener Akustikerin und einer weiteren Meisterin beschäftigt Petra Andres zwei Auszubildende, die auch nach der Ausbildung im Team bleiben sollen.
Dass das Team komplett weiblich ist, sei „nur Zufall“, sagt Petra Andres. So habe es auch einen männlichen Aspiranten auf die zweite Meisterstelle gegeben. Letztlich habe dessen private Situation einen Umzug nach Hamburg aber doch nicht zugelassen.
Neben Kindern, bimodal Versorgten, mit Knochenleitungsgeräten Versorgten und CI-Trägern werden im HörStudio Andres selbstverständlich auch klassische Hörgeräte-Kunden versorgt. Um diese Zielgruppe auf sich aufmerksam zu machen, schaltet Petra Andres zu Beginn noch Werbung etwa in Wochenblättern, einfach, um ihren Betrieb bekanntzumachen. Doch inzwischen sieht sie von klassischer Printwerbung ab. Für sie als „kleine Einzelunternehmerin“ in der Hamburger Innenstadt sei das kaum erfolgversprechend. „Wo sollte ich das machen?“, fragt sie. Ihr klassisches Einzugsgebiet ist eben kaum bewohnt. Und so lebt das HörStudio Andres vor allem von Empfehlungen und dem großen Netzwerk welches sie über die vielen Jahre aufgebaut hat. „Hier kommen auch heute noch Kunden rein und sagen: Endlich haben wir Sie wiedergefunden“, berichtet sie. Ab und an sind darunter auch Kunden, die andernorts nicht zufrieden waren oder bewusst nach einem inhabergeführten Betrieb suchen. Im HörStudio Andres werden sie es. Hier erwartet die Kunden unter anderem ein individueller Service sowie ein konstantes Team. „Ein Hörsystem ist ja nichts, was man mal eben so kauft“, meint Petra Andres. „Da baut man eine Beziehung auf und möchte möglichst immer den gleichen Ansprechpartner haben.“ Mit der hohen Flexibilität eines Einzelunternehmens, der konstanten Besetzung, der Abdeckung von Sonderversorgungen und auch mit dem individuellen Eingehen auf einen jeden Kunden und dessen Bedürfnisse dürfte sich der Betrieb gegenüber Filialisten durchaus einen Vorteil verschaffen.
Ebenso legt man im HörStudio Andres Wert auf eine bedarfsgerechte Beratung. Hört ein Kunde beim Testen keinen wirklichen Unterschied zwischen zwei Technikstufen, rate man ihm eher zum günstigeren Produkt. „So muss man einfach miteinander umgehen“, findet Petra Andres. „Wir wollen ja nicht nur eine einmalige Versorgung machen, wir möchten den Kunden dauerhaft gewinnen. Die Zufriedenheit der Kunden ist das Ziel.“ Bei den Kunden komme das an. „Häufig hören wir, wir hätten Lebensqualität zurückgegeben.“ Wichtig ist ihr außerdem, ihre Kunden schnell in Technik reinhören zu lassen. Zwar habe man so zunächst keine Ohrpassstücke zur Verfügung. Aber es gibt Möglichkeiten, den Kunden von Anfang so zu versorgen, „dass die angepasste Technik auch gut genutzt werden kann“, erzählt Petra Andres. „Das sehen wir ja durch die Perzentilanaylse und auch die weiteren Messungen bei uns. Das kann man dem Kunden auch zeigen.“ Deshalb lässt man die Kunden mit auf den Bildschirm gucken, damit sie sehen, wo die Zielkurve liegt und wieviel gegebenenfalls noch fehlt, um dahinzukommen. Das motiviere die Kunden häufig zum Durchhalten in der Eingewöhnungsphase.
Optimistisch in die Zukunft
Die Zukunft ihres Berufsstandes sieht Petra Andres trotz all der aufkommenden Themen positiv. Zwar glaubt sie, dass sich die Akustik nicht zuletzt durch das Internet wandeln werde. „Das sehen wir ja schon heute“, sagt sie mit Blick auf neue Geschäftsideen. Doch Trubel habe es in der Branche immer schon gegeben. „Es gab immer etwas, wo alle irritiert und besorgt waren. Aber ich denke, das Hörsystem ist und bleibt weiterhin ein erklärungsbedürftiges Produkt, zu dem die Dienstleistung dazugehört.“
Als im März dieses Jahres die Corona-Pandemie über das Land kommt, reagieren Petra Andres und ihr Team schnell. „Wir sind als systemrelevant eingestuft worden und so haben wir das auch gesehen“, sagt sie. Natürlich sorgen die ersten Tage des Lockdowns für etwas Irritationen. Doch sofort organisiert sich der Betrieb so, dass es mit Einhaltung der Vorschriften weitergehen kann. Es werden Hygienemittel beschafft und Plexiglaswände auf den Tresen und die Arbeitsplätze gestellt, die sogar das Logo des Betriebes ziert. „Alle Mitarbeiterinnen haben extrem hohes Engagement gezeigt und viele gute Ideen in der Zeit eingebracht, hier zeigte sich wieder einmal wie wertvoll mein Team ist.“, berichtet Petra Andres voller Stolz! So musste auch während der Reorganisation das HörStudio Andres keinen einzigen Tag schließen und konnte durchgehend für die Notfallversorgung zu Verfügung stehen.
Als keine Neuversorgungen mehr nachkommen, weil bei den HNO-Ärzten nichts mehr passiert, nutzt das Team die Zeit für Dinge, die es sich schon länger vorgenommen hat. „Ich bin ein Mensch, der die Dinge ins Positive dreht und guckt, was man daraus machen kann“, sagt Petra Andres. Sicherlich keine schlechte Einstellung. Aus ihren bisherigen Entscheidungen jedenfalls hat sie schon vieles gemacht. Und es gibt weitere Pläne. Zum einen möchte sie ihren Betrieb in der Hamburger Innenstadt erweitern, zum anderen hat sie ein Angebot für eine Fläche im Hamburger Umland auf dem Tisch, ganz in der Nähe ihres Wohnorts. „Das wäre etwas, was ich mal versuchen kann“, sagt sie. Unter Druck setzen mag sie sich hierfür allerdings nicht, es muss sich einfach ergeben. Es wäre nicht das erste Mal, dass es so kommt …