Sonova übernimmt AudioNova

Die bislang größte Übernahme eines Akustik-Filialisten, noch dazu durch einen Hersteller, ist beschlossene Sache. Nur die Kartellbehörden müssen noch zustimmen. Der Berufsstand ist alarmiert: Wird es weitere Übernahmen geben? Was bedeutet das für den Markt? Was für die unabhängigen Hörakustiker?

Veröffentlicht am 08 Juni 2016

Sonova übernimmt AudioNova

In ihrer Pressemitteilung vom 4. Mai teilte die Sonova Holding AG mit: 

 

„Sonova Holding AG, der weltweit führende Hersteller von Hörlösungen, und AudioNova International B.V. (AudioNova), eines der größten europäischen Retail-Unternehmen im Bereich Hörakustik, haben heute ihre Absicht angekündigt, ihre Kräfte zu bündeln. Sonova hat eine Vereinbarung getroffen, AudioNova von HAL Investments B.V. (HAL) zu erwerben. AudioNova betreibt über 1.300 Fachgeschäfte in acht Ländern. Der Wert von AudioNova wird mit 830 Mio EUR. veranschlagt. Die Auszahlung des Kaufpreises erfolgt in bar. Die Transaktion unterliegt der Genehmigung der Regulierungsbehörden, die in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 erwartet wird.“ 

 

Die Nachricht verschlug den Hörakustikern den Atem und in den ersten Tagen nach Bekanntwerden des Super-Deals herrschte auch erst einmal Sprachlosigkeit. Doch schnell war klar: Da die Firma Geers nach aktuellen Angaben 560 Geschäfte in Deutschland betreibt und Sonova offiziellen Angaben zu Folge etwa 170, wäre Sonova mit rund 730 Fachgeschäften die Nummer 1 in unserem Markt. Allerdings wird Sonova gegenüber den Endkunden sicherlich nicht unter diesem Namen auftreten. Es macht mehr Sinn, die eingeführte Marke Geers zu erhalten. Ob die kleineren Zukäufe in der Zukunft unter einer neuen Einzelhandelsmarke einheitlich auftreten werden, ist ungewiss. Auch lokale Marken gibt man nicht ohne Weiteres auf. Es scheint Sonova auch nicht in erster Linie um die eine große Retail-Marke zu gehen, sondern eher um ein Netzwerk. Das geht jedenfalls aus den Mitteilungen des Unternehmens an die Presse hervor. Insofern kann die Firma Kind gelassen in die Zukunft blicken, denn als Einzelhandelsmarke bleibt sie weiterhin die Nummer 1 und darf das auch weiterhin in ihrer TV-Werbung behaupten.

 

Alles ist jetzt von Interesse. Deshalb geben wir hier die nachfolgenden Informationen aus der Pressemitteilung der Sonova ungekürzt wieder. Das Unternehmen begründet seinen Schritt wie folgt:

 

•Die Transaktion passt hervorragend zur strategischen Ausrichtung von Sonova auf professionelle Dienstleistungen und Retail, welche einen Eckpfeiler der Gruppenstrategie bildet.

•Zusammen mit der starken AudioNova Retail Plattform schafft die Sonova Gruppe eines der größten Retail-Servicenetzwerke für Hörgeräte in Europa mit über 2.580 Fachgeschäften in 12 Ländern und über 3.300 Fachgeschäften weltweit.

•Im Jahr 2016 wird die akquirierte Gruppe voraussichtlich einen Umsatz von ungefähr 360 Mio. EUR und eine EBITDA Marge von rund 16% erzielen.

•Diese Transaktion wird mit einer Kombination aus Barmitteln und Fremdkapital finanziert. Der Verschuldungsgrad (pro forma Net Debt/EBITA) nach Abschluss der Transaktion beträgt ca. 1.2x.

•Der Zusammenschluss verspricht nach anfänglichen Integrationskosten nachhaltige und substanzielle Synergien.

•Sonova erwartet, dass die Transaktion ab dem Geschäftsjahr 2017/18 einen positiven Beitrag zum Gewinn pro Aktie leisten wird.

 

Lukas Braunschweiler, CEO von Sonova, erläuterte seine Strategie der Presse:

 

„Die Akquisition von AudioNova ist ein bedeutender Schritt bei der Umsetzung unserer Strategie, die gesamte Bandbreite an Hörlösungen zusammen mit professionellen audiologischen Dienstleistungen anzubieten. Diese tragen maßgebend dazu bei, ein optimales Ergebnis für unsere Kunden zu erzielen. Ich bin überzeugt, dass die Kombination unserer gut etablierten und komplementären Retail-Netzwerke eine starke Basis für zukünftiges Wachstum darstellt.“

 

Weiter heißt es dann im Pressetext:

 

„Mit der heute bekannt gegebenen Akquisition nutzt Sonova die einzigartige Möglichkeit, die Aktivitäten im europäischen Retail-Markt für Hörgeräte weiter auszubauen. Mit dem Zusammenschluss von AudioNova und Sonova entsteht eines der größten Retail-Servicenetzwerke für Hörgeräte in Europa mit attraktiver Marktposition und kritischer Masse. Beide Unternehmen haben eine komplementäre Präsenz, was eine hervorragende Ausgangslage bietet, künftig auf gegenseitige Stärken zu bauen. Zudem passt die hohe Qualität der Plattform von AudioNova hervorragend zur Strategie von Sonova im Bereich von professionellen Dienstleistungen und dem Retail-Marktzugang.“

 

Frank van der Vis, CEO von AudioNova, fügte hinzu:

 

„Zu einem finanziell starken und sehr gut etablierten Unternehmen im Hörgeräte-Markt zu gehören, wird uns helfen, unsere Ziele weiterhin zu erreichen. Wir profitieren vom Know-How und vom Zugang zu hochmodernen Technologien sowie von der finanziellen Stärke. So können wir unser Wachstumspotenzial optimal ausschöpfen. Unsere Kunden, unsere Mitarbeiter und unsere Partner profitieren gleichermaßen – deshalb freue ich mich sehr darauf, die Transaktion abzuschließen.“

 

Und Ulrich Koch, Geschäftsführer der GEERS Hörakustik GmbH & Co. KG., sagt:

 

„Wir haben bei GEERS in den vergangenen Jahren auf sehr professionelle Art und Weise Rahmenbedingungen geschaffen, in denen unsere Hörgeräteakustiker kundenzentriert und somit lösungsorientiert ihre Kompetenzen einbringen können. Mit dieser Strategie sind wir bei GEERS sehr erfolgreich. Es erfüllt mich mit ein wenig Stolz, dass diese Leistung anerkannt wird und der führende Hersteller im Akustikmarkt Sonova unsere Stärken erkannt und AudioNova als Teil ihrer Gruppe ausgewählt hat. So können wir unsere Kunden in Zukunft gemeinsam noch zufriedener machen.“

 

Der Pressetext der Sonova endet mit marketingstrategischen und betriebswirtschaftlichen Ausführungen:

 

„Durch die Nutzung von Best-Practice-Ansätzen, starken Marken und Einkaufseffizienz erwartet Sonova vielfältige Synergien bei Umsatz und Profitabilität. Der Ausbau des Retail-Geschäfts der Gruppe durch AudioNova mit seinen 1.300 Fachgeschäften in acht Ländern gibt Sonova die Möglichkeit, größere Nähe zu den Kunden zu erreichen und gleichzeitig die Produkte noch besser an kundenspezifische Bedürfnisse anzupassen.

 

Diese Transaktion veranschlagt den Wert von AudioNova mit 830 Mio. EUR (ohne Barmittel und Schulden). Nach vollständiger Realisierung der Synergien, resultiert die Transaktion in einem erwarteten EPS-Zuwachs im zweistelligen Prozentbereich. Die Fremdfinanzierung, welche durch die UBS gesichert ist, führt zu einem Verschuldungsgrad (pro forma Net Debt/EBITA) von ca. 1.2x. Sonova erwartet den Abschluss der Transaktion in der zweiten Hälfte des Jahres 2016, nachdem die Genehmigungen der zuständigen Regulierungsbehörden erteilt worden sind. Mit der heutigen Mitteilung setzt Sonova das am 17. November 2014 angekündigte Aktienrückkaufprogramm bis auf weiteres aus.“ (Ende der Pressetexte).

 

Die Hörakustiker und die Wettbewerber von Sonova sind verständlicherweise beunruhigt. Ein Novum ist der Erwerb von Akustik-Ketten durch Hörgerätehersteller zwar nicht, es hat in den letzten 15 Jahren solche Fälle in Großbritannien, Portugal, Spanien, Frankreich, Polen und auch einmal in Deutschland gegeben. In den USA gab es sie schon immer. In Europa ging es aber immer nur um ein oder zwei Dutzend Filialen und in der Summe war der Marktanteil der herstellereigenen Betriebe minimal geblieben. Eine vertikale Integration, wie sie jetzt den Kartellbehörden zur Genehmigung vorliegt, hat es jedoch in dieser Branche und dieser Dimension noch nicht gegeben.

 

In den Tagen nach der Bekanntgabe der Übernahme blieb es bei den anderen Herstellern und den Akustikern erstaunlich ruhig. Haben sie sich an solche Nachrichten gewöhnt und darauf eingestellt? Einige hatten es ohnehin schon kommen sehen, andere fühlen sich in ihrer Marktnische sicher und nicht betroffen, und wieder andere haben resigniert. Doch die relative Ruhe bedeutet nicht Gleichgültigkeit. Es wird in diesen Tagen viel telefoniert und in kleinen informellen Kreisen oder auf Verbandstreffen kontrovers diskutiert. Was bedeutet das für mein Geschäft? Was für meinen Berufsstand? Wie kann ich mich in Zukunft im Wettbewerb  behaupten? Neben Amplifon und Kind konnten die kleinen Akustiker auf der lokalen Ebene immer relativ gut koexistieren. Das galt bisher auch für Geers, aber nun? Jetzt hat man es mit Filialisten zu tun, die im Besitz internationaler Konzerne sind und die Macht haben, günstig einzukaufen und viel Geld in das Marketing zu investieren. Inwieweit dies das Verhalten der potenziellen Kunden beeinflussen kann, bleibt abzuwarten. Der Bekanntheitsgrad des ortsansässigen Hörakustikers, seine lokale Vernetzung und persönlichen Beziehungen haben immer einer großen Rolle in der Hörgeräteversorgung gespielt und das wird auch so bleiben.

 

Es geht den Investoren an erster Stelle um die Sicherung ihrer Absatzwege, an zweiter um Kostenreduktion und Renditesteigerung. Das erste Ziel wird sich noch relativ leicht erreichen lassen, das zweite nicht, denn der Großfilialist ist an dieselben berufsständischen und sozialrechtlichen Regelungen gebunden, die auch für seine kleinen Konkurrenten gelten. Zudem muss das Filialpersonal dieselben Qualifikationen erfüllen und kostet damit mehr oder weniger dasselbe.

 

Der bloße Inhaberwechsel bedeutet nicht, dass sich die Dienstleistungen einer Filiale ändern. Die Marktmacht der Sonova Holding ist durch die Übernahme von AudioNova fraglos gestiegen, diesmal auf der Einzelhandelsebene im Verhältnis zu den Mitbewerbern. Der Marktanteil der Großfilialisten insgesamt verändert sich dadurch nicht, da sich nur die Besitzverhältnisse verschoben haben. Die Marktanteile auf der Herstellerebene bleiben auch dieselben, denn die Integrationsrichtung ist bei dieser Übernahme eine andere als bisher: nicht horizontal zu den Herstellern, sondern vertikal zu den Absatzmittlern. Die horizontalen Ebene betreffend hatte das Bundeskartellamt schon 2007 gesagt: bis hierhin und nicht weiter. Damit hatte es den Weg – vermutlich ungewollt – in die vertikale Expansion gewiesen.

 

Es bleiben allerdings grundsätzliche mittelstandpolitische Bedenken gegen die fortschreitenden Integrationsprozesse in der Wirtschaft im Allgemeinen und damit letztlich auch in unserer Branche. Die Zahl der mittelständischen Unternehmen ist laut Institut für Mittelstandsforschung (IFM) – nach Betriebsgrößen definiert – von 1991 bis 2013 zwar um 39% gestiegen, die Zahl der freien Berufe sogar um 84%. (1) Doch die Zahlen führen in die Irre, weil darin immer mehr Scheinselbständige und Ich-AGs enthalten sind, eine Unternehmensform, die es früher kaum gab. Jeder Paketzusteller und Fensterputzer ist heute ein „Unternehmer“ und bläht die Statistiken für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) unnötig auf. Die Mittelschicht (nach Einkommen definiert, also Arbeitnehmer und Selbständige) schrumpft dagegen seit Jahren. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist ihr Anteil von 1991 bis 2013 von 60% auf 54% der Bevölkerung zurückgegangen, ihr Anteil am Gesamteinkommen aller Einkommensgruppen in demselben Zeitraum von 67% auf 55%.

 

Die Frage, die sich immer mehr Selbständige und Arbeitnehmer stellen ist, wie weit die Konzentration in der Wirtschaft noch gehen wird und was das für sie bedeuten würde. Der Mittelstand hat in den letzten Jahren zunehmend das Gefühl, dass die Wirtschaftspolitik auf EU- und Bundesebene nur noch die Interessen internationaler Konzerne im Auge hat und nicht die des Mittelstands. Fakt ist aber, dass laut IFM 99,7% aller deutschen Unternehmen zu den Klein- und Mittelbetrieben gehören. Ihr Beitrag zu allen Umsätzen in der Wirtschaft beträgt zwar nur 35,5%, zur Nettowertschöpfung aber respektable 55,5%. Sie bilden 82,2% des Nachwuchses aus und stellen 59,2% aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze. Die Exportquote der Klein- und Mittelbetriebe liegt bei 36%, bei den Großbetrieben nur bei 28%. (2) Kurzum: Der Mittelstand ist das Rückgrat der Wirtschaft und verdient mehr Aufmerksamkeit vonseiten der Politik.

 

Man kann sich gut vorstellen, dass nun andere Hörgerätehersteller unruhig werden und sich überlegen: Wenn dies der Trend im Markt ist, dann dürfen wir ihn nicht verschlafen. Welche Auswirkungen wird das auf den Markt haben? Akustiker, die keinen Nachfolger haben, werden darin vielleicht gar keine Bedrohung sehen, sondern eher eine Option. Den anderen wird in diesem Sommer so manches durch den Kopf gehen. Wird es einen verstärkten Preiswettbewerb auf dem Markt für Endkunden geben, den es im Zuzahlungssegment geben könnte. Kann das überhaupt im Interesse von Premium-Marken sein? Wird es mehr Preiswettbewerb bei den Vertragspreisen geben, der zwar den Kassen nützt, aber nicht den Endkunden? Da wir nicht genau wissen, wie die langfristige Strategie von Sonova aussieht, könnten die Spekulationen jetzt wild ins Kraut schießen. Das verbraucht Zeit und Energie und hilft jetzt nicht weiter. Eine Möglichkeit ist, den Markt aufmerksam zu beobachten und, wenn nötig, situativ zu reagieren. Eine andere ist, sich nicht beirren zu lassen und beharrlich auf seine eigene Kraft und Kreativität zu setzen. Wer einen klaren Kurs steuert, kommt auch mit einem kleinen Boot ans Ziel.

(1)Die Mittelstandsdefinition des IFM und der EU lautet: der Kleinstbetrieb beschäftigt bis 9 Mitarbeiter und macht bis 2 Mio. Euro Umsatz, der Kleinbetrieb bis 49 Mitarbeiter und 10 Mio. Euro Umsatz, und der Mittelbetrieb bis 499 Mitarbeiter und 50 Mio. Euro Umsatz.
(2)Die Exportquote der Kleinbetriebe beträgt 15%, die der Mittelbetriebe 21%.