FDH-Grundsatztagung: Unternehmerfutter für morgen
Rund 60 Teilnehmende reisten nach Amsterdam und hörten unter anderem Vorträge von zwei namenhaften Keynote-Speakern.
Mit nachdenklichen Worten zum Tod von Günther Steinmeier eröffnete Andreas Bögl die diesjährige Grundsatztagung vom FDH. 14 Jahre lang präsidierte Steinmeier den Fachverband und hatte bis zu seinem Tod im vergangenen Februar das Amt des Ehrenpräsidenten inne, nachdem er 2017 das Zepter an Bögl übergeben hatte. Erst nach einer emotionsgeladenen Schweigeminute richteten die circa 60 Teilnehmenden den Blick in Richtung Zukunft, um die es in den folgenden drei Tagen gehen sollte.
„Natürlich gibt es viele Dinge, die wir nicht beeinflussen können“, sagte Bögl in Bezug auf die aktuelle Marktentwicklung und den anhaltenden Krieg in Osteuropa. „Aber es gibt Tendenzen, auf die wir als freie Hörakustiker und Unternehmerverbund unbedingt reagieren müssen, um unserer Zukunft Struktur zu verleihen.“ Für diesbezügliche Inspirationen hatte der amtierende FDH-Präsident vor allem zwei namhafte Keynote-Speaker mit ganz unterschiedlichen, aber durchaus komplementären Denkansätzen engagiert.
Mut statt Gewohnheit
So zeigte zum einen Janis McDavid anhand seiner eigenen Lebensgeschichte auf, wie eng ein erfolgreicher Unternehmergeist und ein gesundes Selbstwertgefühl miteinander verknüpft sind. McDavid wurde ohne Arme und Beine geboren und bekam im zarten Alter von 19 Monaten seinen ersten elektronischen Rollstuhl, der seine körperliche Behinderung auf mobiler Ebene zwar gut kompensierte. Aber trotzdem nicht verhindern konnte, dass McDavid als Heranwachsender immer mehr und bis hin zu den „dunkelsten Gedanken“ an einer lebenswerten Perspektive zweifelte. Bis er schließlich für sich feststellte, dass ihn nicht seine fehlenden Gliedmaßen, sondern der permanente mentale Kampf gegen seinen eigenen Körper von einem normalen Leben abhielt. Ab diesem Zeitpunkt wagte er neue und für Außenstehende völlig absurd scheinende Wege, die ihn letztlich ans Ziel seiner Träume brachten: Der heute 32-jährige Wahl-Berliner studierte, fährt Auto(rennen), bereist die ganze Welt und tritt auf diversen Plattformen als Speaker und Motivationstrainer auf.
So könne es durchaus hilfreich sein, lautete McDavids Botschaft an die in Amsterdam anwesenden Unternehmer*innen, vorgegebene Bahnen zu verlassen und auch mal „verrückt, bekloppt und provokativ“ zu denken. Denn wer an dem vermeintlich perfekten Plan bastele und sich vor allem darauf konzentriere, was NICHT funktionieren könnte, rühre sich mit Sicherheit nicht von der Stelle. Wer dagegen mutig ist und den ersten Schritt ins Ungewisse wagt, finde oft den richtigen Weg Richtung Fortschritt und Problemlösung, so McDavids Tipp.
Prechts Philosophie
Weitaus philosophischer betrachtete der zweite geladene Keynote-Speaker die Zukunft – beziehungsweise „den Werdegang des aktuellen Welttheaters“, wie sie Richard David Precht nennt. In gewohnter Manier – provokativ und mit klarer Kante – referierte der bekannte Philosoph, Publizist, Autor und Fernsehmoderator über verschiedenste Bereiche der Philosophie, Ethik, Politik und Gesellschaft. Eine seiner Botschaften: Deutschland brauche dringend eine Neugestaltung des Bildungs- und Rentensystems, um den Arbeitsverhältnissen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Auch die ungenügende Resilienzfähigkeit und das übertriebene Anspruchsdenken der sogenannten Generation Z, die nicht nur in der Hörbranche immer mehr angeprangert wird, führt Precht auf das aktuelle Ausbildungssystem in Deutschland zurück, in dem weder Stressresistenz noch das Austragen von Konflikten gelehrt würden. Seines Erachtens könnten Aktivitäten wie Vorlese- oder Kopfrechnen-Wettbewerbe dabei helfen, Kinder und Jugendliche besser und auf spielerische Art und Weise auf die heutigen Anforderungen des Berufslebens vorzubereiten.
Precht ging in seinem Vortrag mit dem Titel „Zukunft der Arbeit“ aber vor allem auf den digitalen Umbruch ein, auf den wir sowohl im privaten als auch geschäftlichen Bereich schon seit Längerem reagieren müssen. Im „Wettlauf zwischen Mensch und Maschine, der die bestehende Gesellschaft gerade neu zusammenwürfelt“, könne es sich kein Unternehmen mehr erlauben, künstliche Intelligenz zu ignorieren. Aber sie dürfe im Gegenzug auch nicht kopflos eingesetzt werden: Für eine erfolgreiche Zukunft müsse vielmehr jeder für sich selbst herausfinden, so Precht, was für seinen individuellen Gebrauch sinnvoll sei. Als Gewinner dieser gesellschaftlichen Veränderung gingen Spitzeninformatiker und hochrangige Dienstleistungsberufe hervor, die über eine „breite Festplatte unterschiedlicher Intelligenzen“ verfügen. Eine positive Prognose sagte Richard David Precht aber auch dem Handwerk voraus: Im digitalen Zeitalter bekomme dieses viele praktische Hilfsmittel an die Hand, die jedoch niemals vollständig die Menschen ersetzen können. Besonders in Berufen wie in der Hörakustik, bei denen der empathische Austausch von Mensch zu Mensch im Vordergrund steht, seien Roboter auch langfristig keine Alternative zu humanitärem Geschick und Verstand.
Empathie als wertvoller Mehrwert
Diese Prognose bestätigte sich auch in der darauffolgenden Podiumsdiskussion zwischen FDH-Mitgliedern, Vertretern der Industrie und Richard David Precht himself. Als freier Hörakustiker könne man im Zeitalter des Onlinehandels nicht mehr mit den günstigsten Preisen, sondern nur noch durch Fachkompetenz und Menschlichkeit vor Ort überzeugen, sagte zum Beispiel Hörakustikmeister Benny Kersten. Dem stimmte auch der amtierende FDH-Präsident zu: Wer empathisch sei, werde sich diesen wertvollen Mehrwert erhalten können. Und je mehr man sich um seine Kunden kümmere, desto unentbehrlicher mache man sich, so Bögl.
Damit einverstanden zeigten sich auch die Vertreter der Industrie: In der heutigen Gesellschaft gebe es den wichtigsten Mehrwert durch die Qualität der Arbeit und die Nähe zum Kunden. Schließlich schufen auch die Social-Media-Känäle, die in der Branche immer mehr genutzt werden, eine gewisse Distanz zur Kundschaft, sagte zum Beispiel Hans-Christian Drexler, Leiter Produkt-Marketing der GN Hearing GmbH. Von dieser „Menschlichkeit“ müsse die Branche aber auch als Arbeitgeber mehr Gebrauch machen, ergänzte Torben Lindø, Geschäftsführer von Oticon Deutschland. Früher hätten die Rekrutierenden einen Bewerber gefragt, warum sich das Unternehmen für ihn entscheiden sollte. Heute frage der Bewerber, warum er sich für das Unternehmen entscheiden solle. An dieser Stelle könne man beispielsweise die eigenen Unternehmenswerte anführen und den Bewerber fragen, ob er sich mit diesen identifizieren könne und ihm so eine wichtige Entscheidungshilfe an die Hand geben, so Lindø.
Ein Plädoyer für mehr Kooperationen
Auch Unternehmensberater Martin Bornemann nahm an der Podiumsdiskussion teil und vertiefte am Folgetag der Veranstaltung einen Gedanken, der von nahezu allen Wortführern der diesjährigen Grundsatztagung ausgesprochen wurde: Die Herausforderungen der Zukunft sind zu groß, um sie auf dem herkömmlichen Weg zu lösen. Für Bornemann bedeutet diese Entwicklung dabei konkret: Die Zeiten der Einzelkämpfer sind vorbei! Wer auch in Zukunft erfolgreich sein will, so der Marktexperte, müsse über mehr Miteinander nachdenken, Ressourcen bündeln und Risiken verteilen – egal ob als Unternehmen, als Verband oder Privatperson. Für ein gemeinschaftliches Wirken gab er den Zuhörenden dann auch gleich zwölf Spielregeln an die Hand, welche die Erfolgsaussichten enorm steigern könnten.
Andreas Bögl betonte an dieser Stelle wiederum den wichtigen Schulterschluss vom FDH mit der Fördergemeinschaft Gutes Hören (FGH) und der Europäischen Union der Hörakustiker e.V. (EUHA): Je enger die Kooperation dieser unabhängigen Institutionen ausfällt, desto besser werden freie Akustiker auch als Gemeinschaft und neben den immer weiterwachsenden Ketten wahrgenommen. Unterstrichen wurde diese Intention durch die Anwesenheit des gesamten Teams der FGH sowie von Eva Keil-Becker, Vizepräsidentin der EUHA.
Von Sri Lanka über Nürnberg nach München
Am letzten Veranstaltungstag wurde ein beeindruckendes Hörprojekt auf Sri Lanka vorgestellt, in dessen Rahmen die FDH-Mitglieder Marion Winter-Andres und Thomas Andres seit mehr als 15 Jahren junge Menschen mit kostenlosen Hörsystemen versorgen. Im Anschluss wurden zwei Bilder des Künstlers Lester Ruhunuhewa versteigert, um dieses humanitäre Projekt zu unterstützen. Den Zuschlag bekam für 1.500 Euro die Fördergemeinschaft Gutes Hören (FGH), welche die beiden Bilder unter ihren Mitgliedern verlosen wird.
Als letzter Programmpunkt stand schließlich die jährliche Mitgliederversammlung an, bei der unter anderem eine Satzungsänderung beschlossen wurde. Bei den Neuwahlen, die im Oktober während der EUHA in Nürnberg durchgeführt werden, soll der Vorstand verkleinert werden. Außerdem gab Andreas Bögl einen ersten Ausblick auf 2024: Nächstes Jahr soll die FDH-Grundsatztagung in München stattfinden.